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813. Nacht

Was dünkt Euch, Herr,“ unterbrach sich hier die
Prinzessin, „von der übereilung und der Unbilligkeit dieses
Fürsten?“

Der Kalif antwortete, der Fürst hätte, obschon er volle
Gewalt über sie hatte, ihnen verzeihen sollen, und zwar aus drei Gründen:
Erstens, weil die beiden jungen Gatten sich so innig liebten; zweitens, weil sie
sich in seinem Palast und unter seinem Schutz befänden; und drittens, weil ihm
mehr Mittel, als dem jungen Mann, zu Gebot ständen, sich eine andere Sklavin zu
verschaffen: „Dieser Fürst,“ fügte er hinzu, „hat eine eines
Königs unwürdige Handlung begangen.“

„Geruht jetzt,“ sagte hierauf die Prinzessin zu
ihrem Bruder, „einen Augenblick anzuhören, was Naam uns singen wird.“

Und nun begann die junge Sklavin in den
leidenschaftlichsten Versen die Qualen zu schildern, welche zwei durch die
süßesten Gefühle vereinte Herzen empfinden müssen, welche die Härte des
Schicksals getrennt hat. Ihre rührende Stimme machte dem Kalifen so viel
Vergnügen, dass er ihr durch die schmeichelhaftesten Ausdrücke seine
Zufriedenheit bezeigte.

Die Prinzessin ergriff diesen günstigen Augenblick, und
sagte zu ihm, ein großer König hätte nur ein Wort, und das einmal von ihm
ausgesprochene Urteil wäre unwiderruflich. Und als sie nun Naam und Naama hatte
aufstehen lassen, sprach sie zu ihrem Bruder:

„Großmächtiger Beherrscher der Gläubigen, ihr seht
hier vor Euch die beiden Unglücklichen, deren Schicksal ihr so eben beklagt
habt: Naam ist die junge Sklavin, welche Hedschadsche ebn Jussuf ihrem Gemahl
entführt hat, um sie Euch zu senden. Er hat Euch in seinem Brief hintergangen,
wenn er Euch angekündigt, er habe sie für zehntausend Goldstücke erkauft.
Naama, den ihr hier in der Verkleidung einer jungen Sklavin vor Euch seht, ist
in Wahrheit ihr Herr und Gemahl. Im Namen Eurer ruhmvollen Voreltern wage ich
es, Euch zu bitten, Herr, mit ihrer Jugend Mitleid zu haben, und ihnen den
Fehler zu verzeihen, welchen sie begangen haben. Ihr werdet in Eurem innersten
Herzen die Belohnung für die großmütige Teilnahme finden, welche ihr ihnen
angedeihen lässt. Bedenkt, dass sie beide in Eurer Gewalt sind, dass sie die
Ehre gehabt haben, an Eurem Tisch zu essen, und dass Eure Schwester es ist,
welche Euch beschwört, ihr Blut nicht zu vergießen.“

Der Kalif antwortete mit Bewegung: „Du hast Recht,
meine Schwester. Ich habe über diesen Fall schon einen Ausspruch getan, und Du
weißt, dass ich nimmer ein Urteil zurücknehme, welches ich einmal gefällt
habe.“

Hierauf wandte er sich zu Naam und fragte: „Dass also
ist Dein Herr?“

„Ja, mein Fürst,“ antwortete in tiefer
Ehrfurcht die junge Sklavin.

„Sei ohne Frucht,“ sagte der Kalif freundlich,
„ich vergebe von Herzen gern Euch allen beiden. – Aber, Naama, wie hast Du
entdeckt, dass Deine Sklavin sich hier befindet, und wie hast Du es angestellt,
hier herein zu kommen?“

„Herr,“ antwortete der junge Mann, „geruht,
die Erzählung meiner Schicksale anzuhören: Ich schwöre Euch, bei Euren
glorreichen Ahnen, ich will Euch keinen Umstand davon verbergen.“

Hierauf erzählte Naama dem Kalifen alles, was ihm
begegnet war. Die Verpflichtungen, welche er dem persischen Arzt und der Alten
hatte; wie die letzte ihn in den Palast geführt, und wie er sich darin verirrt.

Der Kalif, voll Verwunderung über diese Geschichte, ließ
den persischen Arzt kommen, ihn mit einem Ehrenrock bekleiden, und gab ihm eine
ausgezeichnete Stelle an seinem Hof. Er verheiratete ihn mit einer reizenden
Sklavin, und äußerte ihm verbindlich, er wünschte stets einen solchen Mann
bei sich zu behalten, der so viel Verstand und Geschicklichkeit besäße, und
dessen Gaben auch ihm nützlich werden könnten. Er überhäufte auch Naam und
Naama mit Wohltaten, ebenso wie die Alte. – Während sieben Tagen waren nichts
als Feste und Lustbarkeiten in dem Palast.

Kaum hatte Scheherasade die Geschichte von Naama und Naam
beschlossen, als sie die noch übrige Zeit benutzte, und die Geschichte Aladdins
anfing, von welcher sie sich wohl versah, dass der Sultan von Indien die
Fortsetzung würde hören wollen.