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810. Nacht

Am folgenden Abend kam die Alte, Naama abzuholen, und
begab sich mit ihm nach dem Palast des Kalifen. Sie trat zuerst hinein. Als aber
Naama, der hinter ihr ging, ihr folgen wollte, hielt der Pförtner sie an. Die
Alte sah ihn scheel an, und sagte ihm, er wäre sehr kühn, dass er es wagte,
Naam, die Lieblingssklavin des Kalifen aufzuhalten, an deren Genesung der Fürst
so viel teilnehme. Der Pförtner war verdutzt, und ließ Naama eintreten, der
nun ohne Aufenthalt mit der Alten in den inneren Hof des Palastes trat.

„Seid getrost,“ sagte sie nun zu ihm,
„tretet dreist hinein, und haltet Euch zur Linken: Zählt sorgfältig die
Zimmer, an welchen ihr vorbeigeht, und tretet in das sechste, wo alles zu Eurem
Empfang in Bereitschaft ist. Vor allen Dingen fürchtet Euch nicht, und wenn
jemand Euch anredete und mit Euch schwatzen wollte, so hütet Euch wohl, ihm
Rede zu stehen.“

Als sie sich der inneren Türe des Harems näherten, hielt
das Oberhaupt der schwarzen Verschnittenen sie an, und fragte die Alte, wer
diese Sklavin wäre.

„Es ist,“ antwortete sie, „eine Sklavin,
welche meine Gebieterin kaufen will.“

„Hier kann niemand,“ entgegnete der
Verschnittene, „ohne Erlaubnis des Kalifen eintreten. Kehrt wieder um, die
Befehl, welche ich erhalten habe, sind bestimmt und gestatten keine Ausnahme.
Ich werde sie nicht eintreten lassen.“ –

„Seht wohl zu, was ihr tut,“ versetzte die Alte,
„seht Ihr denn nicht, dass ich nur scherzte, als ich Euch von einer Sklavin
sagte, welche meine Gebieterin kaufen wollte? Diese Sklavin ist ja Naam selber,
die Favoritin des Kalifen: Sie fängt an zu genesen, und ist ihrer Gesundheit
wegen ein wenig ausgegangen. Im Namen Gottes, hindert sie nicht, einzutreten:
Der Kalif würde Euch den Kopf abhauen lassen, wenn er erführe, dass ihr seiner
Lieblingssklavin den Eintritt in den Harem verweigert habt.“

Die Alte tat hierauf, als wenn sie zu Naam spräche, und
sagte:

„Tretet hinein, Naam, und achtet nicht darauf: Auch
bitte ich Euch, sprecht nicht davon zu der Prinzessin.“

Naama senkte jetzt das Haupt, und trat in den Harem. Aber
anstatt sich auf der linken Seite zu halten, geriet er auf die rechte, und
anstatt fünf Zimmer zu zählen, zählte er sechs, und trat in das siebente.

Dieses war ein reich ausgestattetes Gemach: Die Wände
waren mit seidenen und gold gestickten Teppichen behängt. Aloeholz, Ambra und
Moschus brannten in goldenen Rauchgefäßen und dufteten die köstlichsten
Wohlgerüche aus. In der Mitte dieses Zimmers stand eine Art von Thron, der mit
Brokat bedeckt war: Und auf diesen setzte sich Naama.

Während der junge Mann mit den Gegenständen, welche er
um sich sah, beschäftigt war, und über sein Abenteuer nachdachte, trat die
Schwester des Kalifen, mit einer ihrer Sklavinnen herein. Als sie Naama auf dem
Thron sitzen sah, näherte sie sich ihm, und ihn für eine junge Sklavin
haltend, fragte sie ihn, wer sie wäre, und wer sie in dieses Zimmer gebracht
hätte. Aber sie konnte keine Antwort von ihm herausbringen.

„Wenn ihr eine der Sklavinnen meines Bruders
seid,“ fuhr die Prinzessin fort, „und er etwa gegen euch erzürnt ist,
so verspreche ich Euch, zu Euren Gunsten bei ihm zu reden, und Euch wieder in
seine Gnade zu bringen.“

Da die Schwester des Kalifen sah, dass Naama stets das
tiefste Stillschweigen beobachtete, befahl sie ihrer Sklavin, sich an die Türe
des Gemaches zu stellen und niemand herein zu lassen. Als sie hierauf noch
näher zu dem verkleideten jungen Mann heran trat, erstaunte sie über seine
Schönheit, und redete ihn abermals mit folgenden Worten an:

„Junge Sklavin, sagt mir doch, wer ihr seid, wie ihr
heißt, und wer Euch in mein Zimmer gebracht hat. Denn ich erinnere mich nicht,
Euch jemals in diesem Palast gesehen zu haben.“