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796. Nacht

Der Kalif fragte nun den Wesir, was er gesehen hatte, und
dieser fing an zu lachen, und antwortete:

„Herr, der Arzt, ist ein erstaunlicher Zauberer. Ich
habe himmlische Paradiese, die Huris, schöne Knaben und Wunderdinge gesehen,
welche noch kein Auge geschaut hat. Wenn ihr es selber versuchen wollt, so
werdet ihr eingestehen, dass es nichts Reizenderes und zugleich
Außerordentlicheres gibt.“

Diese wenigen Worte erregten die Neugier des Kalifen. Er
entkleidete sich, umgürtete sich mit einem Leintuch, und trat in das Becken.
Der Arzt hieß ihn sich hineintauchen und sobald der Kalif dies getan hatte,
befand er sich mitten in einem Meer von unermesslichem Umfang, fing an zu
schwimmen, und wurde von einer Woge an ein entferntes Ufer getragen. Nachdem er
ans Land gekommen war, und sich nackt sah, indem er nur von einem Tuch umgürtet
war, sagte er bei sich selber:

„Ich sehe wohl, wo dieser Kunstgriff hinaus will:
Mein Wesir und der Arzt sind übereingekommen, mich meines Reiches zu berauben.
Sie werden meine Tochter dem jungen Menschen geben, und der Arzt wird sich an
meiner Statt als Kalif anerkennen lassen. Unselige Neugier!“

Während der Kalif diese Betrachtungen anstellte, sah er
mehrere Mädchen, welche nach einer Quelle nahe am Meer Wasser zu schöpfen
kamen. Er wandte sich an eine von ihnen, gab sich für einen fremden
Schiffbrüchigen aus, und fragte sie in welchem Land er sich befände. Sie
antwortete ihm, er wäre nahe bei der Stadt Oman1).
Er dürfte nur den Berg vor ihm besteigen, da würde er die Stadt sehen, welche
am Fuß des Berges läge.

Der Kalif schlug diesen Weg ein, und trat in die Stadt.
Die Einwohner hielten ihn für einen schiffbrüchigen Kaufmann, und einer gab
ihm aus Erbarmen ein Kleid. Als er damit bekleidet war, durchwanderte er die
Stadt. Indem er über den Markt ging, machte der Hunger, der ihn quälte, dass
er vor dem Laden eines Speisewirtes stehen blieb. Dieser hielt ihn auch sogleich
für einen schiffbrüchigen Fremdling, und trug ihm an, in seine Dienste zu
treten, indem er ihm täglich zwei Drachmen und Unterhalt bot. Der Kalif wusste
nichts besseres zu tun, und nahm den Antrag an. Als er nun gegessen hatte, und
in seine Verrichtungen eingewiesen war, sprach er bei sich selber:

„Welche seltsame Lage! Welche Veränderung! Nachdem
ich Kalif gewesen, einer unbeschränkten Macht genossen, und in Herrlichkeit und
Freuden gelebt habe, bin ich jetzt dahin gebracht, die Teller zu lecken! Ich
habe außerordentliche Dinge sehen wollen: In der Tat, nichts ist
außerordentlicher, als mein Abenteuer: Aus einem Kalifen bin ich der Diener
eines Speisewirts geworden! Aber es ist meine Schuld. Was hatte ich nötig,
selber die Macht dieses Zauberers erfahren zu wollen?“

Nach Verlauf einiger Tage ging der Kalif durch den Markt
der Juweliere. Ihrer war eine große Anzahl, und sie trieben einen starken
Handel in dieser Stadt, weil man in dem Meer nahe dabei viele Perlen, Diamanten
und Korallen fischte. Indem er so durch diesen Markt ging, bekam er Lust, lieber
Mäkler zu werden, als länger im Dienst bei dem Speisewirt zu bleiben.

Am folgenden Morgen ganz früh ging er also wieder auf
diesen Markt und gab sich für einen Mäkler aus. Da kam ein Mann zu ihm, mit
einem Diamant in der Hand, dessen Glanz den Strahlen der Sonne glich, und dessen
Preis die Einkünfte von ägypten und Syrien übersteigen sollte.

Der Kalif, erstaunt über die Schönheit dieses Diamants,
fragte, ob er zu kaufen wäre. Man bejahte es: Er nahm ihn, und trug ihn bei
mehreren Kaufleuten umher. Man bot anfangs fünfzigtausend Zechinen, dann
steigerte man das Gebot bis auf hunderttausend Zechinen. Der Kalif ging wieder
zu dem Eigentümer des Diamants, und fragte ihn, ob er ihn für diesen Preis
lassen wollte. Er willigte ein, und hieß den Kalifen das Geld in Empfang
nehmen. Der Kalif kehrte zu dem Kaufmann zurück, der die hunderttausend
Zechinen für den Diamant geboten hatte, und bat ihn die Summe einzuhändigen,
weil der Eigentümer des Diamants ihm aufgetragen, sie für ihn in Empfang zu
nehmen.


1) Eine Stadt in Arabien, am
indischen Ozean, unweit des persischen Meerbusens.