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786. Nacht

„Der König von Ninive und Assyrien entbehrt dem
König von ägypten seinen Gruß!

Der Bruder bedarf manchmal seines Bruders, und Du bist es,
zu dem ich meine Zuflucht nehme: Ich brauche sechs hundert Talente Goldes, um
einen Teil meines Heeres auszurüsten. Ich hoffe, Du wirst geruhen, mir diese
Summe zu leihen.“

„Es ist sehr wahr,“ sagte lachend der König von
ägypten, „dass niemals eine solche Forderung an mich gemacht worden, und
dass ich zeitlebens nicht dergleichen gehört habe.“

„Gleichwohl,“ versetzte Heykar, „es ist
eine Schuld, welche ihr gegen meinen Herrn eingegangen seid, und deren Ihr Euch
bald entledigen müsst.“

Pharao verstand die Meinung Heykars, und rief aus:

„Dir, Heykar, sollten alle Diener der Könige
gleichen! Ehre dem ewigen Wesen, welches Dir die Weisheit verliehen und Deinen
Geist mit so viel Verstand und Wissenschaft geschmückt hat. – Aber noch eine
schwere Bedingung bleibt Dir zu erfüllen: Du hast versprochen, mir einen
zwischen Himmel und Erde schwebenden Palast zu bauen.“

„Ich erinnere mich dessen wohl,“ antwortete
Heykar, „und ihr seht mich bereit, auszuführen, was ich verheißen habe:
Ich habe die Baumeister mitgebracht. Befehlt nur, dass man ihnen Steine, Mörtel
und Kalk bereit halte, und Handwerker da seien, um ihnen das nötige Bauzeug
zukommen zu lassen.“

Dieser Befehl wurde auf der Stelle erteilt, und am
folgenden Morgen begab sich Pharao mit seinem ganzen Hofstaat auf eine weite
Ebene, wo schon eine zahllose Volksmenge zusammengeströmt war, voll Neugierde,
zu sehen, wie Heykar sein Versprechen erfüllen würde.

Dieser erschien in Begleitung der beiden von ihm
abgerichteten Knaben. Die Käfige, worin er die beiden Adler verschlossen hatte,
wurden von den Leuten seines Gefolges hinter ihm hergetragen.

Als Heykar durch das Gewühl mitten in die aufgerichteten
Schranken gelangt war, zog er die beiden Adler aus ihren Behältnissen hervor,
ließ jeden der Knaben in einen Kasten steigen, und nachdem er dieselben fest an
die Klauen dieser Vögel gebunden hatte, ließ er das Seil nach, und in einem
Augenblick erhuben sie sich zu einer erstaunlichen Höhe. So schwebend, zwischen
Himmel und Erde, reifen nun die Knaben aus Leibeskräften herab:

„Bringt uns doch Steine, Kalk und Mörtel, damit wir
den Palast des Königs Pharao bauen! Wir warten nur noch auf dieses Bauzeug.
Auf, auf, ihr Herren Handlanger! Wir sind hier schon eine Stunde lang mit
müßigen Händen! Es ist unerhört, uns so lange in Untätigkeit zu lassen!
…“

Während die Knaben aus den Lüften herab diesen Zuruf
wiederholten, schlugen unten die Leute von Heykars Gefolge, vor den Augen der
ganzen verdutzten Menge, auf die Werkleute Pharaos, indem sie sagten:

„Tut doch Eure Schuldigkeit, ihr Handlanger, und
reicht den Mauermeistern droben das nötige Bauzeug: Lasst sie doch nicht
müßig!“, und damit fuhren sie fort zu schlagen, während Pharao und seine
Höflinge lachten.

Bei alledem konnte der König von ägypten sich einer
kleinen Beschämung nicht erwehren, und um diesem Auftritt ein Ende zu machen,
sagte er zu Heykar:

„Hast Du denn den Verstand verloren? Wie verlangst
Du, dass meine Leute so schweres Bauzeug so hoch in die Luft bringen
sollen?“

„Offenbar,“ antwortete Heykar, „hat mein
Herr Sencharib viel geschicktere Arbeitsleute, denn wenn er wollte, so könnte
er zwei Paläste zugleich in einem einzigen Tag bauen lassen.“

Pharao fühlte den Stich dieser Scherzrede, und sagte:

„Nun wohl, ich verzichte auf den Bau meines Palastes:
Aber bereite Dich, morgen auf verschiedene Fragen zu antworten, welche ich Dir
tun will.“

Heykar entfernte sich, und am folgenden Morgen stellte er
sich bei guter Zeit bei Pharao ein, welcher zu ihm sprach:

„As ist das für ein Pferd, welches Dein Herr in
seinem Stall hat, und das jedes Mal, wenn es zu Ninive wiehert, meinen Stuten
solchen Schreck verursacht, dass sie zur Unzeit fohlen?“

Heykar sagte hierauf zu dem König von ägypten, er würde
sogleich eine Antwort auf diese Frage herbei holen, und ging hinaus: