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78. Nacht

„Herr,“ sagte sie, indem sie sich immer an den
Sultan von Indien wandte, „Sindbad erzählte der ihm zuhörenden
Gesellschaft die Abenteuer seiner zweiten Reise auf folgende Weise weiter:
„Ich fing nun an,“ sagte er, „die größten Diamanten, die sich
meinen Augen darboten, aufzusammeln, und ich füllte damit den ledernen Sack1),
der mir zur Aufbewahrung meines Mundvorrats gedient hatte. Ich nahm hierauf das
Stück Fleisch, welches mir das längste schien, band es mit der Leinwand meines
Turbans fest um meinen Leib, und legte mich nun in diesem Zustand auf den Bauch,
nachdem ich den ledernen Beutel so fest an meinen Gürtel gebunden hatte, dass
er nicht herabfallen konnte.

Kaum war ich in dieser Lage, als die Adler kamen und jeder
sich eines Stückes Fleisch bemächtigte, das er davon trug. Einer der
stärksten, der mich eben so mit dem Stück Fleisch, welches ich mir angebunden
hatte, emporhob, trug mich auf die Höhe des Berges bis in sein Nest. Die
Kaufleute schrieen nun, um die Adler zu verscheuchen, und nachdem sie sie
genötigt hatten, ihre Beute zu lassen, näherte sich mir einer, wurde aber von
Furcht befallen, als er mich sah. Er fasste sich jedoch, und statt sich zu
erkundigen, durch welches Abenteuer ich mich dort befand, fing er an, mit mir zu
zanken, indem er mich fragte, warum ich ihn seines Gutes beraube. „Wenn ihr
mich besser kennen gelernt habt,“ sagte ich zu ihm, „so werdet ihr
menschlicher mit mir sprechen. Tröstet euch,“ fügte ich hinzu, „ich
habe Diamanten für euch und mich, mehr, als alle die anderen Kaufleute zusammen
haben können. Wenn sie welche haben, so haben sie sie nur durch Zufall. Ich
aber habe im Talgrunde selbst diejenigen ausgewählt, die ich hier in diesem
Beutel mitbringe.“ Indem ich dieses sagte, zeigte ich ihm denselben. Ich
hatte noch nicht aufgehört zu reden, als die anderen Kaufleute sich um mich her
versammelten, sehr erstaunt, mich zu sehen. Ich vermehrte ihr Erstaunen durch
die Erzählung meiner Geschichte. Sie bewunderten weit weniger die Erfindung
meiner List, als die Dreistigkeit, sie auszuführen.

Sie führten mich in ihre gemeinschaftliche Wohnung, und
als ich dort meinen Beutel in ihrer Gegenwart öffnete, überraschte sie die
Größe meiner Diamanten, und sie gestanden mir, dass sie an allen Höfen, wo
sie gewesen wären, nicht einen einzigen ähnlichen gesehen hätten. Ich bat den
Kaufmann, dem das Nest gehörte, in welches mich der Adler getragen hatte, (denn
jeder Kaufmann hatte das seinige) ich bat ihn, sag‘ ich, sich so viel Diamanten
auszuwählen, als ihm beliebte. Er begnügte sich damit, einen einzigen, und
noch dazu einen von den minder großen zu nehmen, und da ich in ihn drang, er
möge mir doch vergönnen, ihm noch mehrere zu geben und nicht befürchten, mir
dadurch Unrecht zu tun, erwiderte er mir: „Nein, ich bin mit diesem einen
vollkommen zufrieden, denn er ist kostbar genug, um mir von nun an die Mühe zu
ersparen, andere Reisen zur Begründung meines kleines Glückstandes zu
machen.“

Ich brachte die Nacht mit den Kaufleuten zu, denen ich
meine Geschichte zum zweiten Mal erzählte, um denjenigen Genüge zu leisten, die
sie noch nicht gehört hatten. Ich konnte meine Freude nicht mäßigen, wenn ich
bedachte, dass ich den Gefahren, wovon ich euch erzählt habe, entgangen wäre.
Der Zustand, in welchem ich mich befand, schien mir ein Traum zu sein, und ich
konnte gar nicht glauben, dass ich nichts mehr zu befürchten hätte.

Die Kaufleute hatten nun schon mehrere Tage lang Fleisch
in das Tal geworfen, und da jeder mit den ihm zugefallenen Diamanten zufrieden
war, reisten wir am andern Tag alle miteinander ab und gingen über hohe Berge,
auf welchen es Schlangen von wundersamer Größe gab, denen wir glücklich
entkamen. Wir erreichten den ersten Hafen, von wo wir nach der Insel Riha
schifften, auf welcher der Baum wächst, woraus man den Kampfer erhält und der
so dick und belaubt ist, dass sich in seinem Schatten hundert Menschen mit
Bequemlichkeit aufhalten können. Der Saft, aus welchem sich der Kampfer bildet,
fließt aus einer oben am Baum gemachten öffnung und wird in einem Gefäß
aufgefangen, in welchem er gerinnt und zu dem wird, was man Kampfer nennt. Wenn
ihm der Saft auf diese Weise entzogen ist, so vertrocknet der Baum und stirbt
ab.

Auf derselben Insel gibt es Nashörner, Tiere, welche
kleiner als der Elefant und größer als der Büffel sind, und auf der Nase ein
Horn haben, das ungefähr eine Elle lang ist. Dieses Horn ist dicht und in der
Mitte von einem Ende zum andern durchschnitten. Man sieht auf ihm weiße Züge,
welche die Gestalt eines Menschen darstellen. Das Nashorn kämpft mit dem
Elefanten, stößt ihm sein Horn in den Bauch, hebt ihn empor und trägt ihn auf
seinem Kopf. Da ihm das Blut und das Fett über die Augen rinnen und es blind
machen, so fällt es auf die Erde, und – was euch in Erstaunen setzen wird – der
Roch kommt, packt beide mit seinen Klauen und fliegt mit ihnen davon, seine
Jungen zu füttern.

Ich übergehe mehrere andere Merkwürdigkeiten dieser
Insel mit Stillschweigen, weil ich euch zu langweilen befürchte. Ich tauschte
daselbst gute Handelswaren gegen einige Diamanten ein. Von dort schifften wir
nach andern Inseln, und nachdem wir endlich mehrere Handelsstädte des festen
Landes berührt hatten, landeten wir in Balsora, von wo ich mich nach Bagdad
begab. Ich teilte dort bedeutende Almosen unter den Armen aus, und genoss auf
eine ehrenvolle Weise den überrest meiner großen Reichtümer, die ich mit so
vielen Beschwerden erworben und hingebracht hatte.“

So erzählte Sindbad seine zweite Reise. Er ließ dem
Hindbad wieder hundert Zeckinen geben, und lud ihn auf den anderen Tag ein, um
den Bericht von seiner dritten Reise zu hören. Die Gäste gingen nach Hause und
kamen am folgenden Tag zu derselben Stunde wieder, ebenso wie der Lastträger,
der sein vergangenes Elend schon vergessen hatte. Man setzte sich zu Tisch, und
als die Mahlzeit zu Ende war, bat Sindbad um Gehör und erzählte auf folgende
Art seine dritte Reise.

Dritte
Reise
Sindbads des Seefahrers nach Selahath

„Ich hatte bald in den Genüssen des Lebens, das ich
führte, die Erinnerung an jene Gefahren verloren, denen ich auf meinen beiden
Reisen ausgesetzt gewesen war. Aber, noch in der Blüte meiner Jahre, langweilte
mich das ruhige Leben, und mich über die neuen Gefahren, denen ich Trotz bieten
wollte, betäubend, reiste ich von Bagdad mit reichen Landeswaren ab, die ich
nach Balsora bringen ließ. Dort schiffte ich mich wieder mit anderen Kaufleuten
ein. Wir fuhren lange umher und landeten in mehreren Häfen, wo wir
beträchtliche Handelsgeschäfte machten.

Als wir eines Tages auf offenem Meer waren, wurden, wir
von einem schrecklichen Sturm hin und her geworfen und verloren unseren Weg. Der
Sturm hielt mehrere Tage an, und trieb uns vor den Hafen einer Insel, in welchem
der Schiffshauptmann sehr gern nicht gelandet wäre, aber wir waren wohl
gezwungen, dort vor Anker zu gehen. Als die Segel eingezogen waren, sagte uns
der Hauptmann: „Diese Insel und einige andere benachbarte Inseln sind von
ganz behaarten Wilden2)
bewohnt, die uns bestürmen werden. Ob sie nun gleich Zwerge sind, so will doch
unser Unglück, dass wir nicht den geringsten Widerstand leisten, denn sie
kommen in größerer Anzahl als die Heuschrecken und wenn es uns begegnen
sollte, einen zu töten, so würden sie sich alle über uns her werfen, und uns
umbringen.


1)
Die reisenden Orientalen bewahren ihren Vorrat in einem runden ledernen Sack,
den sie auf der Erde ausbreiten und der ihnen als Tisch dient, wenn sie ihre
Mahlzeit halten.