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779. Nacht

Die Macht erzeugt den Hochmut: Nadan, der jetzt Herr von
allem war, nur seine Neigungen als Gesetz, seinen Willen als Zügel erkannte,
und nach Gefallen über die unermesslichen Reichtümer seines Oheims schaltete,
behandelte seinen Wohltäter bald nur mit Verachtung. Ja, er fügte zu dem
Undank noch die Unverschämtheit, und wagte es sogar, ihn öffentlich zu
verspotten, indem er zu jedem sagte, der es hören wollte:

„Mein Oheim ist fast schon wieder in der Kindheit,
seine Reden schmecken etwas nach seiner Hinfälligkeit: Der Arme versteht fast
nichts mehr von den Angelegenheiten des Lebens.“

Dabei schlug er seine Sklaven, verkaufte seine
Besitztümer und Pferde, und verschwendete töricht die langsam erworbenen
Güter.

Entrüstet über diese Aufführung seines Neffen, jagte
ihn Heykar aus seinem Haus, und unterrichtete den König von dem, was vorging.

Sencharib ließ Nadan kommen, und erklärte ihm, so lange
Heykar lebte, hätte keiner das Recht, sich die mindeste Gewalt in seinem Haus
anzumaßen.

Der alte Minister war tief betrübt. Er bereute bitterlich
alle Mühe, welche er sich mit Nadans Erziehung gegeben hatte. Nadan hatte aber
noch einen jüngeren Bruder, Namens Ebnasadam: Diesen berief nun Heykar zu sich,
überhäufte ihn mit Ehren, vertraute ihm alle die Macht an, welche er den
Händen seines Bruders wieder entzogen hatte, stellte ihn an die Spitze seines
Hauses und ernannte ihn zum Verwalter aller seiner Güter.

Als Nadan den von Heykar gefassten Entschluss sah, ergriff
ihn eine grimmige Eifersucht. Sein Oheim wurde der stete Gegenstand seiner
Klagen oder seiner Spöttereien. „Da er mich aus seinem Haus gejagt,“
sagte er, „um einem Bruder die mir gebührenden Vorzüge und Vorteile
eingeräumt hat, so verlange ich vom Himmel nichts mehr, als die Macht, mich zu
rächen. Diese Macht soll die List mir verschaffen.“ Und von Stund‘ an sann
er im Stillen auf Mittel, Heykar zu verderben, indem er ihn in irgend eine
Schlinge verwickelte, die seinen Sturz unvermeidlich machte. Auf folgende Weise
fing er es an.

Er schrieb an Akis, den König von Persien, einen Brief,
der also lautete:

„Heil und Ehre dem König von Persien von Seiten
Sencharibs, des Königs von Assur und Ninive!

Sobald dieser Brief Dir zukömmt, so mache Dich auf, und
komm Eilig in die Ebene von Baschrin: Dort will ich Dir, ohne Streit, meine
Hauptstadt und mein Reich überliefern.“

Ein ähnlicher Brief wurde an Pharao, König von ägypten
geschrieben. Nadans Schrift glich völlig der Schrift seines Oheims; und um dies
noch täuschender zu machen, setzte er Heykars Siegel darauf. Nachdem er beide
Briefe versiegelt hatte, warf er sie in den Palast des Königs.

Als dies geschehen war, schmiedete er einen dritten Brief
im Namen Sencharibs, welcher sich darin also vernehmen ließ:

„Der König von Assur und Ninive an Heykar, seinen
ersten Minister und Vertrauten aller seiner Geheimnisse.

Versammle alle unsere Truppen, lass sie, wie zu einem
Treffen, ausrüsten und führe sie nächsten Donnerstag in die Ebene von
Baschrin. Sobald Du mich dort ankommen siehst, so befiehl den Truppen auf mein
Gefolge loszustürzen und mich wie ein Feind anzugreifen. Du weißt, dass die
Gesandten Pharaos, des Königs von ägypten, gegenwärtig an meinem Hof sind:
Ich will, dass sie Zeugen dieser kriegerischen übung seien, damit sie daraus
die Gewandtheit meines Heeres erkennen, und uns fürchten.“

Dieses Schreiben vertraute Nadan einem Sklaven des
Palastes, der es zu Heykar trug.

Unterdessen wurden die beiden an die Könige von Persien
und ägypten gerichteten Briefe gefunden und dem König Sencharib übergeben.
Erstaunt und entrüstet über ihren Inhalt, zeigte er sie dem Nadan, welcher mit
angenommener Verlegenheit und als wenn dieses Bekenntnis ihn viel kostete, sie
für die Handschrift seines Oheims erkannte.