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777. Nacht

Mein Sohn, erzähle niemals, weder was Du gesehen, noch
was Du gehört hast: Ist ein geheimes Wort von Dir ausgesprochen worden, so lass
es in Deinem Herzen begraben sein, und hüte Dich, es jemand mit zuteilen, damit
es nicht eine glühende Kohle werde, welche Deine Zunge verbrennt, und Du vor
Gott und Menschen verschmähst werdest.

Höre geduldig jeden an, der zu Dir redet, und unterbreche
ihn nicht voreilig: Man beginnt keine Unterhaltung mit Fragen.

O mein Sohn! Trachte nicht nach äußeren Schönheiten:
Sie sind vorübergehend und vergänglich, während das Gedächtnis des
tugendhaften Mannes nimmer verlischt, und keinen Wechsel kennt.

Las Dich nicht durch die Reden eines verkehrten Weibes
verführen, damit Du nicht in ihre Netze fällst und elendiglich umkommst. Flieh
vor allen eine mit Wohlgerüchen überschwemmte oder mit prächtigen Kleidern
geschmückte Frau: Unter diesem glänzenden äußern verbirgt sich eine niedrige
und verächtliche Seele. Ihr etwas vertrauen, das Dich betrifft, hieße sich an
Gott versündigen, und sich seinem Zorn aussetzen.

Der Mann ohne Kinder gleicht einem unfruchtbaren Stamm,
entblößt von Zweigen, Blättern und Blüten. Sei leer wie ein am Ufer eines
Baches und in der Nähe der Heerstraße stehender Baum: Er bietet seine saftigen
Früchte den Reisenden, und die Tiere der Wüste flüchten sich unter den Schirm
seines Schattens.

Sei nicht wie der Mandelbaum, der früher als alle andere
Bäume Blüten hervor treibt, aber der letzte ist, der Früchte bringt. Gleiche
vielmehr dem Maulbeerbaum, denn dieser ist unter allen Bäumen derjenige, der
sich am spätesten mit Blättern bedeckt, nachdem er schon lange reife Früchte
trägt.

So lange Deine Füße beschuht sind, wandere ohne Furcht
über Dornen, und bahne im Voraus den Weg, für Deine Söhne und Enkel.

Zieh Deine Kinder mit Strenge, denn die Strenge ist bei
der Erziehung, was der Dünger beim Ackerbau, was der Zügel beim Renner.

Beuge Deinen Sohn, bevor er aufwächst, damit er nicht,
Dein Ansehen verspottet, es dahin bringe, dass Du an öffentlichen Orten und in
Versammlungen das Haupt senken musst. Er würde Dich in den Augen Deiner Freunde
entehren, und auf Dich allein würde die Schande seiner Unzucht zurückfallen.

Bei ruhigem Wetter musst Du Dein Schiff ausbessern, denn
wenn der Sturmwind sich erhebt und Dich überfällt, ist Dein Schiffbruch
unvermeidlich.

Bevor Du Dich auf den Weg begibst, versieh Dich mit Deinen
Waffen, weil Du nicht weißt, wo Du Deinem Feind begegnen wirst.

Lass nicht Deinen Gefährten Dich auf die Füße treten:
Er würde dich auch bald auf die Brust treten.

Hüte Dich, den Hass eines mächtigen Mannes zu erregen,
denn er würde Deine Schwäche ermessen, und Dich durch seine Rache vernichten.

Mein Sohn, ich habe manchmal Wermut und Myrrhen genossen,
aber ich habe nichts bitterer befunden, als die Armut.

Wenn jemals die Armut Dich heimsucht, so verbirg Deine
Dürftigkeit vor aller Augen, denn Deine Nachbarn würden zuerst darüber
lachen, und Deine Klagen würden Dir nur Verachtung einbringen.

Man verschwendet den Namen des Weisen an den Reichen,
dessen Hand voll ist, selbst wenn er dumm und unwissend ist, indessen derjenige,
der nichts zu geben hat, mit dem Namen des Narren verunglimpft wird, wäre er
auch der allerweiseste.

Wenn der Reiche eine Natter isst, so sagen die Leute, er
tut es aus Weisheit. Isst sie ein Armer, so sagt man, es geschieht aus
Dürftigkeit.

Beneide nicht den Reichtum eines anderen und freue Dich
nicht über das Unglück Deines Nächsten: Eben dieses Unglück könnte auf Dich
zurückfallen. Komm dem Feinde, der Dir schaden will, durch Deine Wohltaten
zuvor. Stirbt er, so freue Dich nicht: Du wirst bald bei ihm sein, vielleicht in
demselben Grab!

Man muss einem Mann in den Tagen seiner Macht nicht
trotzen, so wenig als einem Fluss in der Zeit seiner überschwemmung.