Project Description

775. Nacht

„Herr, ich bin zu Balsora geboren, und der König
jenes Landes ist mein Oheim. Ich bewohnte einen Palast an der Straße nach
Bagdad, da traf ich eines Abends, als ich ausging mich mit der Fischerei zu
belustigen, diese Frau, in Begleitung eines Mannes, am Ufer des Sees. Ich lud
sie ein, sich bei mir auszuruhen, und sie nahm es an. Auf meine Frage, welche
Ursachen sie veranlassten, so zu reisen, antwortete sie mir:

„Herr, ich bin eine der unglücklichsten Frauen von
Bagdad. Mein Vater ist ein Beamter am Hof des Fürsten, und wollte mich, um
seinen Ehrgeiz zu befriedigen, an einen alten Statthalter vermählen, den ich
verabscheute. Um dieser Verbindung zu entgehen, entschloss ich mich, in
Begleitung des Sklaven, welchen ihr bei mir getroffen habt, nach Balsora zu
entfliehen.“

Da der Reichtum ihrer Kleidung und der Kleinode, womit sie
geschmückt war, ihrer Erzählung einen Anstrich von Wahrhaftigkeit gab, so
glaubte ich diese Lüge, und ich machte ihr den Antrag, bei mir zu bleiben, wo
sie vor allen Verfolgungen in Sicherheit wäre.

„Ich will es gern,“ antwortete sie mir,
„aber dann muss zuvor mein Sklave getötet werden, damit er nicht nach
Bagdad zurückkehre, und meinen Verfolgern meinen Zufluchtsort entdecke.“

Ich versprach ihr alles was sie wollte, aber ich konnte
mich nicht zu dieser Freveltat entschließen. Ich befahl nur, ein Schlafpulver
in den Wein dieses Menschen zu mischen und als er eingeschlafen war, benutzte
man den Zustand, worin er versetzt worden, und trug ihn vor meinen Palast
hinaus. Als er am folgenden Morgen wieder herein wollte, stellte man sich, als
kenne man ihn nicht, und gebrauchte Gewalt, um ihn zu entfernen. Ich fürchtete,
er möchte in seinem ärger nach Bagdad zurückkehren, und unsern Aufenthaltsort
entdecken. Um allen Verfolgungen zu entgehen, beschloss ich, mich nach Balsora
zu begeben, weil ich vernahm, dass zwischen den Fürsten von Balsora, die sich
tödlichen Hass geschworen hatten, der Krieg auszubrechen drohte. Diese
Neuigkeit bestimmte mich, nach Kairo zu fliehen, wohin ich alles mitnahm, was
mir möglich war.

Hier in dieser Stadt heiratete ich diese Frau, welche ihr
vor Euch seht. Ich überhäufte sie mit Geschenken, und bewies ihr die
zärtlichste Liebe und nun hört, wie die Undankbare mich dafür belohnen
wollte: Sie machte einem von meinem Hausgesinde den Antrag, mich zu ermorden und
mit ihr zu entfliehen, und meine Reichtümer mitzunehmen. Dieser treue Diener
wies aber mit Abscheu einen solchen Antrag zurück, und entdeckte ihn mir auf
der Stelle. Ergrimmt über einen so schwarzen Verrat und solche Treulosigkeit,
verurteilte ich sie, jeden Tag mit Ochsenziemern gepeitscht zu werden, und heute
habe ich diese Züchtigung angefangen. Dieses, Herr, ist die Ursache des
Geschreis, welches ihr gehört habt. Ihr mögt nun beurteilen, ob ich eine
Ungerechtigkeit begangen habe.“

Selim konnte nicht ohne Schaudern die Erzählung des
Prinzen von Balsora anhören: „Herr,“ sprach er zu ihm, „wie
entfernt, Eure gerechte Strenge gegen ein so schuldvolles Weib zu missbilligen,
finde ich, dass ihr noch zu nachsichtig seid. Ihr Tod allein kann die Verbrechen
sühnen, welche sie begangen hat.“

Mit diesen Worten befahl er seiner Wache, die
Unglückliche zu ergreifen und in den Nil zu werfen.

Er lud hierauf den Prinzen ein, an seinem Hof zu bleiben,
und machte ihm die Ursachen bekannt, welche ihn bewogen hatten, die Frau, welche
seine Gnade angefleht hatte, noch strenger zu bestrafen, als er.

Selim lebte lange glücklich mit der neuen Gattin, welcher
er sich erkoren, und verbannte bald aus seinem Gedächtnis das Andenken
derjenigen, welche ihn verlassen hatte.“

Der Tag brach eben an, als Scheherasade die Geschichte des
Sultans Selim beendigte: Aber auf die Aufforderung des Sultans von Indien und
ihrer Schwester Dinarsade begann sie in der folgenden Nacht die Geschichte des
weisen Heykar.