Project Description

771. Nacht

Ich schwankte lange über dem Entschluss, welchen ich
fassen sollte: Ich wusste nicht, ob ich reisen oder bleiben sollte. Endlich, um
den Verdacht aufzuklären, welchen die Worte der Alten in mir erzeugt hatten,
hört Herr, auf welche Weise ich es anstellte.

Ich setzte, scheinbar vor meiner Frau, die Vorbereitungen
zu meiner Abreise fort, und nachdem ich ihr Lebewohl gesagt, stieg ich zu
Pferde, und verließ die Stadt. Aber anstatt meinen Weg zu verfolgen, begab ich
mich nach einem Garten, welchen wir in der Umgegend hatten, und blieb hier einen
ganzen Tag, der mir viel länger dünkte, als die dunkelste der Nächte. Als der
Abend gekommen war, verkleidete ich mich als einen Bettler, und in diesem Aufzug
kehrte ich zu Fuß in die Stadt zurück. Ich näherte mich verstohlen den
Hintergebäuden meines Hauses und horchte aufmerksam. Der Lärm, den ich hörte,
ließ mich nicht zweifeln, dass etwas Außerordentliches drinnen vorginge. An
allen Gliedern zitternd, gelang es mir jedoch, über die Gartenmauer zu klimmen,
und unbemerkt auf einen der großen Bäume meines Gartens zu steigen, welche dem
Zimmer meiner Frau gegenüber standen. Von diesem Standort aus konnte ich leicht
alles beobachten, was vorging: Denkt Euch nun, Herr, meinen Schmerz, als ich die
Treulose, welche ich bisher stets für ein Muster der Keuschheit und Tugend
gehalten hatte, ihre Liebkosungen an einen Mann verschwenden sah, dem sie eben
zu trinken einschenkte.

Ich wartete, bis meine Frau sich entfernte, und sobald ich
sie mit einer Dienerin herausgehen sah, stieg ich schleunig von meinem Baum
hinab und trat in das Zimmer, worin ihr Geliebter sich befand. Er war berauscht,
und ich stieß ihm, zur Rache meiner beleidigten Ehre, meine Säbel in die
Brust. Hierauf stieg ich eilig wieder auf den Baum, welchen ich verlassen hatte.

Als meine Frau wieder in das Zimmer trat und ihren
Geliebten von einem Säbelhieb hingestreckt und in seinem Blut gebadet sah,
konnte sie ihre Wut und Verzweiflung nicht mäßigen. Sie ergriff selber den
Säbel, womit er getötet war, und außer sich, rannte sie hervor und durch alle
Teile des Gartens, um den Mörder aufzusuchen: Aber alle ihre Nachforschungen
waren vergeblich.

Nach diesem fruchtlosen Suchen, trug sie Sorge, den
Leichnam zu verbergen. Mit Hilfe ihrer Magd vergrub sie selber ihn in einem
Winkel des Gartens. Hierauf brachte sie die Nacht unter Wehklagen und Weinen
über den Tod ihres Geliebten hin. Ich aber eilte, sobald es mir möglich war,
diesen Ort zu verlassen, und gelangte, unter dem Schutz der Dunkelheit, wieder
aus dem Garten, sowie ich herein gekommen war.

Am folgenden Morgen früh kam ich wieder nach Hause, und
ich sah, dass meine Frau sich vergeblich bemühte, ihren Schmerz zu verstecken:
Ich fragte sie, warum sie so traurig aussähe, und die Treulose antwortete mir,
meine Abwesenheit wäre die Ursache ihres Kummers gewesen. Ich verbarg den
Unwillen, welchen ihre Falschheit in mir erregte, und war genug Herr über mich,
um mir nichts merken zu lassen. Aber als ich in den folgenden Tagen ihren
Schmerz, anstatt sich zu vermindern, nur zunehmen sah, so drang ich von neuem in
sie, mir die Ursache ihrer Tränen kund zu tun. „Wir sind nunmehr wieder
zusammen,“ sagte ich zu ihr, „und mich dünkt, Du solltest
hinlänglich getröstet sein.“

Hierauf antwortete sie, einen neuen Vorwand ihrer Tränen
ersinnend: „Ach, ich kann mich nicht enthalten zu seufzen, wenn ich an den
fürchterlichen Traum denke, welchen ich diese Nacht gehabt habe. Wir wandelten
beide am Ufer eines von Sturm aufgeregten Meeres. Plötzlich sah ich ein
Ungeheuer daraus hervor stiegen, Du wolltest fliehen und stürztest Dich ins
Meer, aber das Ungeheuer verfolgte Dich in die Fluten.“

Ich konnte eine so arge Falschheit nicht länger ertragen:
„Beruhige Dich,“ antwortete ich ihr, „dieser Traum, so
fürchterlich er ist, bedeutet uns doch nur Günstiges, und ich will Dir ihn
auslegen. Das Ungeheuer, welches Du gesehen hast, ist einer meiner Feinde. Als
ich mich ins Meer stürzte, rief ich gegen ihn den Schutz des Himmels an, – und
ich habe ihn getötet: Seine Flucht in die Fluten bedeutet seine Beerdigung in
einem Winkel meines Gartens.“

Sie verstand nur zu wohl den Sinn dieser Worte, und da sie
ihre Wut nicht mäßigen konnte, ergriff sie ein Messer, stürzte auf mich los,
und gab mir im Gesicht die Wunde, von welcher ihr noch die Narbe seht. Ich
suchte lange ihren Streichen auszuweichen, als ich aber sah, das sie mir ans
Leben wollte, so war ich gezwungen, mich des Messers zu bemächtigen, womit sie
sich bewaffnet hatte, und es gegen sie selber zu gebrauchen. Sie fiel tot unter
meinen Streichen, und in meinem wütenden Zorn erschlug ich ebenso ihre
nichtswürdige Magd.

Seit diesem Ereignis, Herr, beschloss ich, die Welt ganz
zu verlassen und in einem umherirrenden Leben Zerstreuung zu suchen. Nachdem ich
all meine Habe verkauft hatte, nahm ich Kalender-Tracht an, und wanderte von
Stadt zu Stadt, in der Absicht, ägypten zu besuchen, und dorthin reise ich
jetzt.“

Fortsetzung der Geschichte Selims

Die Erzählung des Kalenders in Verbindung mit dem
Abenteuer bei dem Schuster, von welchem er Zeuge gewesen war, trösteten Selim
über sein Unglück, und er fasste den Entschluss, nicht weiter seiner Frau
nachzulaufen, sondern mit seinem neuen Reisegefährten, den er hier angetroffen
hatte, nach ägypten heimzukehren.

Die beiden Reisenden waren nun auf den Grenzen dieses
Reichs angekommen, und herbergten in einer großen Karawanserei, worin sich
mehrere Kaufleute und Reisende aus verschiedenen Ländern befanden. Einer von
ihnen schien beim Anblick des Prinzen von ägypten ihn mit besonderer
Aufmerksamkeit zu betrachten. Nachdem er ihn lange angesehen hatte, sprach er zu
ihm: