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767. Nacht

„Kennst Du diesen Mann?“, fragte der Prinz die
junge Frau.

„Ich kenne ihn nur zu gut,“ antwortete sie
sogleich mit unverschämter Stirn: „Geruht, ihn aus meiner Gegenwart zu
entfernen: Der vor Euch steht, ist ein ehrloser Räuber. Er ist es, der, nachdem
er mich beraubt hatte, mich auf dem Gottesacker, wo ihr mich gefunden habt,
lebendig begraben wollte, als ich das Glück hatte, Euch anzutreffen. Bestraft
diesen Verbrecher nach der Strenge des Gesetzes. Er verdient, gehängt zu
werden.“

Der Schmerz, die Verwirrung und das Erstaunen verhinderten
den jungen Kaufmann, den Mund zu öffnen, um sich zu rechtfertigen.

„So also, ehrloser Räuber,“ sagte der Prinz zu
ihm, „wagst Du es, bis in meinen Palast zu dringen, um eine Frau in
Anspruch zu nehmen, welche Du lebendig hast begraben wollen? Du verdienst, unter
den grausamsten Martern hingerichtet zu werden: Aber, danke es meiner Güte, ich
will mich begnügen, Dich hängen zu lassen.“

Und als der Kaufmann versuchen wollte, sich zu
entschuldigen, fuhr der Prinz fort: „Füge nicht noch die Lüge zu Deinen
Verbrechen. Alles, was Du sagen könntest, wäre unnütz. – Auf! Man ergreife
ihn auf der Stelle und hänge ihn ohne Barmherzigkeit: Ihr haftet mir für
seinen Kopf.“

Mit diesen Worten gibt er den Leuten seiner Umgebung ein
Zeichen, und man schleppt den Unglücklichen zum Galgen, nachdem man ihm die
Hände auf den Rücken gebunden hat.

Er war nahe daran, gehängt zu werden, als plötzlich der
Geist, welcher ihm auf dem Gottesacker erschienen war, sich den Augen der
erstaunten Menge sichtbar machte:

„Halt,“ rief er dem Henker zu, „willst Du
einen Unschuldigen hinrichten?“

„Das zu untersuchen ist nicht unsere Sache,“
erwiderten die Beamten des Prinzen, „wir haften mit unsern Köpfen für
seine Hinrichtung, und der Wille unsres Herrn muss vollzogen werden.“

„Und ich,“ entgegnete der Geist, „ich nehme
alle Verantwortlichkeit auf mich und wenn ich dem Prinzen werde die Wahrheit
enthüllt haben, so zweifle ich nicht, dass er Gerechtigkeit handhaben
wird.“

Die durch die Worte des Geistes eingeschüchterten Beamten
ließen die Hinrichtung des jungen Kaufmanns aufschieben, und dieser begab sich
mit seinem Befreier zum Prinzen.

„Herr,“ sprach der Geist zu ihm, „ihr seid
durch die Treulosigkeit eines Weibes betrogen: Adileh ist wirklich die Gattin
des hier vor Euch stehenden Kaufmanns, und auf seine Bitten hatte ich ihr das
Leben wiedergegeben: Aber ein solches Weib ist unwürdig länger der Wohltat zu
genießen, welche ich ihr erwiesen hatte: Sie sterbe auf der Stelle wieder!
Anlangend ihren Mann, so hoffe ich, Herr, ihr werdet ihm durch Widerrufung Eures
Urteils Gerechtigkeit angedeihen lassen.“ Mit diesen Worten verschwand der
Geist.

Als der Kalender seine Erzählung geendigt hatte,
antwortete Selim ihm:

„Ihr kennt nicht den ganzen Umfang meines Unglücks.
Es scheint, dass ich vom Missgeschick verfolgt werde: Eine erlauchte Geburt
hatte mich zu der höchsten Bestimmung berufen, und ich sah mich plötzlich in
den kläglichsten Zustand versetzt. In dem Augenblick, wo ich, in mein Schicksal
ergeben, das Glück wieder gefunden zu haben wähnte, stürzt ein unerwartetes
Ereignis mich abermals in einen Abgrund des Elends.“