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763. Nacht

Aber der Prinz hatte nicht bemerkt, dass unter denjenigen,
die sein Haus besuchten, ein junger Mann war, der sich aufs angelegenste um
seine Frau bemühte. Eines Tages, als er von einer Lustfahrt mit mehreren seiner
Freunde nach Hause kam, klopfte er vergeblich an seine Türe. Niemand erschien,
um sie ihm zu öffnen. Verwundert über diese Stille, verdoppelt er seine
Schläge und ruft seinen Leuten: Niemand zeigt sich. Ungeduldig über diese
Säumnis, entschloss er sich, die Türe einzustoßen. Er läuft nach dem Zimmer
seiner Frau, findet sie aber auch nicht darin. Vergeblich klatscht er in die
Hände, ruft seinem Gesinde: Das Haus ist leer. Kurz, er durchsucht alle Teile
seiner Wohnung, und erlangt die überzeugung, dass alles von Wert daraus
hinweggeschafft ist.

Nun zweifelte der Prinz nicht länger, dass er durch die
Treulosigkeit seiner Frau hintergangen wäre, und schwur, sich zu rächen. In
dieser Absicht sammelte er alle Nachweisungen, die er auftreiben konnte, über
den Weg, welchen seine Frau mit ihrem Buhler genommen hatte; und nachdem er
alles, was sie noch zurückgelassen, verkauft hatte, machte er sich auf, sie zu
verfolgen, und schlug den Weg nach Ispahan ein.

Indem er auf allen Seiten Erkundigungen einzog, um die
Spur seiner Frau zu entdecken, hatte er schon zwei Tagesreisen gemacht, als er,
von Müdigkeit überwältigt, vor dem Haus eines Schusters ausruhte.

„Bruder,“ sprach dieser zu ihm, „Du
scheinst ermüdet. Die Nacht naht heran: Willst Du die Matte teilen, auf welcher
ich schlafe, so biete ich sie Dir willig dar.“

Selim nahm dieses Erbieten mit Dank an und da er das
Bedürfnis der Ruhe fühlte, so streckte er sich in einer Ecke hin, und schlief
fest ein. Aber bald erwachte er, um Zeuge eines sehr seltsamen Auftrittes zu
sein.

Die Frau des Schusters, bei welchem Selim sich befand,
unterhielt seit langer Zeit einen Liebeshandel mit einem jungen Kaufmann, und
eine gemeinsame Freundin, die Frau eines Bartscherers in der Nachbarschaft,
begünstigte diese Buhlschaft. Nun geschah es, dass Geschäfte den Schuster
nötigten, auf einige Zeit seine Wohnung zu verlassen. Diese Abwesenheit
benutzend, machte die Frau alle Vorbereitungen zu einer Zusammenkunft mit ihrem
Liebhaber, und stand im Begriff, auszugehen, als ihr Mann, dessen Geschäfte
bald beendigt worden, heimkehrte, ehe sie sich’s versah. Er fragte sie, warum
sie ausginge und da die Vorwände, unter welchen sie sich entschuldigen wollte,
ihm nicht genügten, geriet er in Zorn, misshandelte sie ungeachtet ihrer
Tränen und Bitten, und um sie noch mehr zu züchtigen, band er sie an einen der
Pfeiler, welche das Haus stützten.

Selim war durch all diesen Lärm vom Schlaf erwacht, und
das rohe Betragen des Schusters hatte seinen Unwillen erregt, aber er erkannte
bald, das das Unrecht nicht ganz auf Seiten seines Wirtes war. Dieser war,
nachdem er seine Frau so streng behandelt hatte, endlich eingeschlafen.

Kurze Zeit darauf sah der Prinz die Frau des Bartscherers
eintreten: „Was macht ihr denn, Nachbarin?“, sprach sie mit leiser
Stimme: „Wisst ihr denn nicht, dass ihr schon lange erwartet werdet? Und
scheut ihr Euch nicht, jemand so lange schmachten zu lassen, der Euch so
inbrünstig liebt?“

„Ach!“, antwortete die Gefangene, „ihr habt
gut mich anklagen: Aber ihr würdet aufhören, ungerecht zu sein, wenn ihr all
das Leid wüsstet, welches mich niederdrückt. Ich habe das Unglück gehabt, den
Argwohn meines Mannes zu erregen, und dieser rohe Mensch hat mich, nachdem er
mich so behandelt, wie ihr seht, fest an diesen Pfeiler gebunden, wo ich
gezwungen bin, die Nacht auszuhalten, wenn ihr nicht die Güte habt, mich von
den Banden zu befreien, welche mich gefangen halten. Ja, wenn Ihr Mitleid mit
der unglücklichen Lage hättet, in welcher ich mich befinde, so würde es Euch
sehr leicht sein, mir einen sehr großen Dienst zu leisten: Indem Ihr auf einige
Zeit meine Stelle einnehmt, würdet Ihr mir helfen, mich an meinem Mann zu
rächen und ihn desto ärger zu betrügen.“

„Ich will es gerne tun, Nachbarin,“ erwiderte
die Bartscherers-Frau, „sogleich binde ich Euch los, und ihr bindet mich an
Eurer Statt an. Ich bin erfreut, dass ich Gelegenheit finde, Euch diesen Dienst
zu leisten. Bleibt nur nicht zu lange aus.“

Mit diesen Worten band sie die Gefesselte von dem Pfeiler
los, und nahm ihre Stelle ein. Die so in Freiheit gesetzte Frau des Schusters
eilte nun zu ihrem Liebhaber.