Project Description

756. Nacht

Der Zustand des Königs von Arabien, und die Auflösung
seines Heeres gestatteten ihm nicht, den Krieg länger fortzusetzen. Er bat
seinen Gegner um Frieden, welcher ihn auch, nach Erhebung ansehnlicher
Geldsummen von dem eroberten Land, bewilligte.

Als das feindliche Heer Arabien wieder geräumt hatte,
dachte Suleiman an die Bestrafung seines Stallmeisters, welchen er, ungeachtet
der Beteuerungen seiner Unschuld, hatte verhaften und mit Ketten an Händen und
Füßen in ein Loch werfen lassen.

Er wollte zugleich den betrügerischen Wesir bestrafen,
welcher ihm falsch geweissagt hätte. Als er demnach seinen Tod herannahen
fühlte, ließ er den Wesir kommen und sprach zu ihm:

„Deine Weissagung sind Lügen gewesen. Ich sterbe,
wie Du siehst, ohne dass mein Horoskop erfüllt wird. Mein Sohn ist nicht durch
einen Löwen verwundet, und nicht er ist es, der mich tödlich verwundet hat. Du
weißt, welcher Gefahr Du Dich durch Hintergehung Deines Königs ausgesetzt,
bereite Dich also zu der gerechten Strafe, welche Du verdient hast.“

„Herr,“ antwortete der angeschuldigte Minister,
„die Gestirne lügen niemals: Geruht, denjenigen, der Euch verwundet hat,
zu verhören, bevor ihr mich mit dem Tod bestrafen lasst.“

Man führte nun den Prinzen vor den König, und befragte
ihn über seinen Geburtsort und seine Herkunft.

„Ich weiß auf diese Fragen nicht bestimmt zu
antworten,“ erwiderte der junge Stallmeister, „ich erinnere mich von
meiner Kindheit nur der auffallendsten Umstände. Ich weiß, dass ich mit meiner
Amme in einer unterirdischen Wohnung lebte, und dass mein Vater uns oft zu
besuchen kam. Eines Tages fiel ein Löwe mitten in unseren Aufenthalt, er
schleuderte mich aus dem unterirdischen Gemach hervor, und ich lag lange
verwundet und besinnungslos da. Ein barmherziger Mann traf mich in diesem
Zustand, und nahm sich meiner Kindheit an. Ihm verdanke ich den Eintritt in den
Palast Euer Majestät.“

Diese Worte erregten in dem Geist des Königs von Arabien
die wundersamste Ahnung: Er ließ den Jäger holen, welcher den jungen Prinzen
erzogen hatte, und dieser bestätigte alles, was sein Pflegling ausgesagt, und
um die Wahrheit seiner Erzählung zu beweisen, entblößte er die Narben der
Wunden, welche noch sichtbar waren.

Alle diese vereinigten Zeugnisse ließen den König nicht
länger an der Wahrheit zweifeln. Er säumte nicht, den so ungerecht von ihm
beschuldigten Wesir zu belohnen: Er ließ ihn mit einem Chilat bekleiden und gab
ihm die Stelle des ersten Ministers. Zu gleicher Zeit setzte er seinem Sohn die
Krone auf das Haupt, und ließ ihn als seinen rechtmäßigen Erben von allen
Großen des Reiches anerkennen, und diese leisteten dem neuen König den Eid der
Treue.

Wenige Tage darauf starb der unglückliche König, der von
seinem eigenen Sohn war verwundet worden, an dieser Wunde, und sein Beispiel
bestätigte abermals die Wahrheit, dass man vergeblich dem Schicksal zu entgehen
sucht, welches die Vorsehung uns bestimmt hat.“