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754. Nacht

Geschichte des Königs Suleiman und
seines Sohnes

„Einst saß auf dem Thron Arabiens einer der
reichsten und mächtigsten Könige von Asien, dessen Glück nur noch ein Sohn
mangelte. Er bat Gott Tag und Nacht, ihm diese hohe Gnade zu gewähren. Endlich
wurden seine Wünsche erhört: Eine der Frauen seines Harems wurde schwanger,
und nichts war mit der Freude des Königs zu vergleichen, als er vernahm, das er
bald Vater sein würde. Aber während er, im übermaß seiner Freude, diejenige
mit seinen Gunstbezeigungen überschüttete, welche ihm einen Erben versprach,
versetzte ein Ereignis von übler Vorbedeutung seine Seele in Unruhe.

Eines Nachts, da Suleiman (so hieß dieser Fürst) in
tiefem Schlaf lag, erschien ihm ein Licht strahlender Geist im Traum:

„Suleiman,“ sprach er zu ihm, „Du hast den
Himmel lange Zeit her mit Deinen Bitten um einen Sohn bestürmt: Du sollst
erhört werden, Gott gewährt Dir ein Kind, aber in seinem siebenten Jahr wird
dieser Sohn wie durch ein Wunder vor der Wut eines Löwen gerettet werden, und
nur dem Tod entgehen, um ihn Dir zu geben, wenn er das Alter von zwanzig Jahren
erreicht hat. Das sind die Beschlüsse des Schicksals.“

Mit diesen Worten verschwand der Geist plötzlich, und
ließ den König von Arabien in tiefster Bestürzung zurück.

Alsbald erwachte der König. Er ließ seine Wesire kommen,
und beriet sich mit ihnen über den außerordentlichen Traum, welcher ihn mit
Schrecken erfüllt hatte.

Unter diesen Ministern befand sich ein Mann, der tief in
den kabalistischen Wissenschaften bewandert war, und sich besonders mit der
Sterndeutung beschäftigt hatte. Dieser schlug dem König vor, sein Horoskop zu
stellen und den Lauf der Sterne zu beobachten und der Fürst nahm dieses
Erbieten mit Freuden an. Er vereinigte sich also mit mehreren anderen
Sterndeutern, und indem er sorgfältig den Stand der Gestirne untersuchte, las
er darin die Bestätigung der geweissagten unglücklichen Begebenheiten.

Er begab sich wieder zu dem König, um ihm den Erfolg
seiner Nachforschungen mitzuteilen.

„Herr,“ sprach er zu ihm, „Eurem Willen
gemäß, habe ich die Gestirne über Eure und Eures Sohnes Bestimmung befragt,
und sie haben den Euch verkündigten furchtbaren Ausspruch bestätigt.
Vergeblich würde man versuchen, sich den Ratschlüssen des Himmels zu
entziehen. Die Bestimmungen des Schicksals sind unwiderruflich.“

„Wie denn?“, fragte der König von Arabien,
„es gibt also kein Mittel, sich vor den unseligen Ereignissen zu bewahren,
welche uns angekündigt sind?“

„Keines,“ erwiderte der Minister.

„Wohlan, Wesir!“, fuhr der König fort,
„hüte dich, wenn es mir gelingt, Deine unglückliche Weissagung Lügen zu
strafen, denn Dein Kopf soll mir für die Wahrheit Deiner Behauptung
haften.“

„Ich bin es zufrieden, Herr,“ versetzte der
Sterndeuter, und entfernte sich.

Der König ließ sogleich mitten in den unzugänglichsten
Bergen eine unterirdische Wohnung bauen, darin für seinen Sohn und dessen Amme
ein bequemes Gemach anlegen, und sorgte dafür, dass nichts verabsäumt wurde,
um den Aufenthalt in dieser abgesonderten unterirdischen Wohnung minder lästig
zu machen. Sobald nun die Königin entbunden wurde, ließ er seinen Sohn dorthin
bringen.