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753. Nacht

Unterdessen schmachtete der unglückliche Attaf in dem
Gefängnis, in welches der Polizeibeamte ihn geworfen hatte. Als er vor den Kadi
geführt wurde, um gerichtet zu werden, war er des Lebens so überdrüssig, dass
er sich für den Urheber des ihm angeschuldigten Mordes bekannte.

Der Kadi nahm eine Verhandlung über das Verhör auf, und
berichtete darüber dem Mufti, welcher das Todesurteil aussprach: Das Urteil
wurde von dem Großwesir bestätigt, und alles angeordnet, um ihn schleunig
hinzurichten.

Attaf wurde nun an den Fuß des Galgens geschleppt, und
schon hatte der Scharfrichter ihm den Strick um den Hals gelegt, als zufällig
der Großwesir, welcher in diese Gegend kam, die Hinrichtung wahrnahm, und sich
nach dem Namen des Verurteilen erkundigte. Als er hörte, es wäre Attaf von
Damask, stieß er einen Schrei aus, und befahl ihn schleunigst zu befreien.

Der unglückliche Verurteilte kam und warf sich dem
Großwesir in die Arme, und beide blieben einige Augenblicke ohne Bewusstsein,
so groß war ihre Bewegung, sich also wieder zu sehen.

Als sie wieder zu sich gekommen waren, ließ der
Großwesir Attaf in ein Bad gehen, ihm prächtige Kleider dahin bringen, und bat
ihn dann wieder zu ihm in den Palast zu kommen.

Als hier die Freunde wieder vereint waren, und Attaf die
ihm sehr nötige Nahrung eingenommen hatte, bat ihn der Großwesir, seine
Abenteuer seit ihrer Trennung zu erzählen. Nachdem er diese vernommen hatte,
erzählte er seinerseits, was ihm begegnet war, seit der ersten Unterredung mit
seiner Gemahlin, zu welcher er ihn sogleich auch führte.

Attaf war auf dem Gipfel der Freude, diejenige
wieder zu sehen, welcher er nie aufgehört hatte zu lieben, und die selber eine
herzliche Zuneigung für ihn hegte. Sie bezeugte ihm ihr großes Vergnügen
über sein Wiedersehen, und erzählte ihm das großmütige Betragen, welches der
Großwesir gegen sie beobachtet hatte.

Während die beiden Gatten des Leides vergaßen, welches
sie erduldet, hatte Giafar sich zu dem Kalifen begeben, um ihm mitzuteilen, was
eben vorgegangen war. Harun ließ ihn nun sehen, dass in jener Handschrift auch
der Verfolg dieser Abenteuer ebenso verkündigt war, und befahl, ihm den Attaf
vorzustellen.

Giafar stellte seinen Wirt dem Kalifen vor, der ihn sehr
freundlich empfing und ihn sogar fragte, was er für ihn tun könnte.

„Herr,“ antwortete Attaf, „die einzige
Gunst, um welche ich Euer Majestät anzuflehen habe, ist die Begnadigung
Abdel-Malek-Ebn-Merwans, Eures Statthalters von Damask, der sich schwer
vergangen, indem er mich so ungerechterweise verfolgt hat: Geruht, ihm seinen
Fehler zu verzeihen, so wie ich selber ihm verzeihe, denn ich bin überzeugt,
dass er gegen mich nur so verfahren, weil er durch die treulosen Ratschläge
seiner Höflinge hintergangen ist. Damit er aber in der Folge nicht in ähnliche
Verirrungen zurückfallen möge, so würde ich Euer Majestät vorschlagen, ihm
den mutigen und unbescholtenen Kerkermeister, dem ich meine Befreiung verdanke,
als Rat beizugesellen, und diesem die Aufsicht und Vollstreckung der Handlungen
des Statthalters zu übertragen.“

Der Kalif drückte Attaf seine volle Bewunderung über
dieses edelmütige Benehmen aus, und bewilligte ihm gern seine Bitte. Attaf bat
ihn überdies noch, die Schenkung all seiner Güter an den Kerkermeister, seinen
Retter, zu bestätigen.

Es wurde nun ein Eilbote mit den Befehlen des Kalifen nach
Damask gesandt. Als man in dieser Stadt vernommen, dass Attaf, nach seiner
Flucht aus dem Gefängnis, seine Beschwerden dem Beherrscher der Gläubigen zu
Füßen gelegt hatte, so fürchtete man, der Kalif möchte in seinem Zorn die
Hauptstadt Syriens das Vergehen ihres Statthalters büßen lassen, und man
glaubte wohl, dass dieser mit dem Tod würde bestraft werden; dergestalt dass
die ganze Stadt nicht ohne große Zufriedenheit die durch den Staatsboten
überbrachten Befehl vernahm. Der Statthalter machte dem Kerkermeister die ihm
von den Kalifen gewährte Gunst1)
und Attafs Schenkung all seiner Güter bekannt.

Der Großwesir Giafar übernahm Attafs Entschädigung
dafür, und tat es mit solcher Freigebigkeit, dass Attaf unendlich viel reicher
wurde, als vor seiner Abreise von Damask.“

Als Dinarsade sah, dass die Sultanin, ihre Schwester,
diese Geschichte vollendet hatte, dankte sie ihr auf die verbindlichste Weise
von der Welt für das Vergnügen, welches sie ihr durch diese anziehende
Erzählung gemacht. Scheherasade versprach hierauf, in der folgenden Nacht eine
andere Geschichte zu erzählen, welche dem Sultan noch besser gefallen würde;
und ihrem Versprechen getreu, begann sie in der nächsten Nacht folgendermaßen:


1) Es
ist nichts seltenes an den morgenländischen Höfen, Leute ohne Erziehung
plötzlich aus dem niedrigsten Stand zu hohen Würden erhoben zu sehen. Der
Finanzminister am Hof des Fath Aly Schah von Persien war vor einigen Jahren noch
ein Bakkal, d.h. ein Gemüsehändler, in Ispahan, Namens Mohammed Hükein-Chan.
Erst im Jahr 1807 gelangte er auf seinen glänzenden Posten.