Project Description

747. Nacht

Dieser Mann lustwandelte gerade in dem Wady1)
der Veilchen, als der Großwesir Giafar zu Damask ankam. Er beeilte sich, ihm
sein Haus anzubieten, und führte ihn nach einem Palast in der Nähe, welchen er
bewohnte.

Giafar bewunderte die Zierlichkeit und Pracht dieses
Gebäudes, das von Marmor erbaut, und dessen Inneres mit köstlichen Teppichen
und bewundernswertem Gerät aller Art versehen war. Ein Springbrunnen, der bis
an die Decke emporstieg, unterhielt eine erfrischende Kühlung in dem Saal, wo
dem Großwesir bald ein Mahl vorgesetzt wurde, welches aus den auserlesensten
Gerichten bestand: Während er aß, machten die Sklaven eine vollstimmige Musik.
Als Giafar den Kaffee eingenommen hatte, fragte ihn sein Wirt, weshalb er diese
Reise unternommen, und der Wesir erzählte ihm alles, was zwischen ihm und dem
Kalifen vorgegangen war.

Attaf (so hieß dieser großmütige Einwohner von Damask)
beeiferte sich, ihn auf alle Weise zu trösten, und sagte unter andern zu ihm,
er könnte diesen Palast ganz als den seinen betrachten und so lange darin
wohnen, als es ihm beliebte, ohne fürchten zu dürfen, dass er ihm im
geringsten beschwerlich fiele.

Als die Stunde des Schlafengehens gekommen war, ließ
Attaf seinem Gast ein Prachtbett bereiten, und neben demselben ein kleines Bett
für sich selber. Der Wesir war über dieses Benehmen seines Wirtes sehr
verwundert, und fragte ihn, ob er kein Harem hätte und nicht verreitet wäre.

„Ich bin zwar verheiratet,“ antwortete Attaf,
„aber das soll mich nicht abhalten, bei Euch zu bleiben: Ich werde nicht so
unhöflich sein, Euch allein zu lassen, um zu meiner Gattin schlafen zu gehen.
So lange mein Haus durch Eure Gegenwart geehrt wird, werde ich Euch nie
verlassen.“

Der Wesir konnte nicht umhin, die große Höflichkeit
seines Wirtes zu bewundern, und dankte ihm für das ehrenvolle Wohlwollen,
welches er ihm bezeugte.

Am folgenden Morgen begaben sie sich zusammen ins Bad und
als der Wesir seine Kleider wieder anziehen wollte, fand er schon andere, viel
prächtigere, welche Attaf ihm darbot. Hierauf stiegen sie zu Pferde und ritten
aus, die Merkwürdigkeiten der Stadt Damask in Augenschein zu nehmen, und alle
folgenden Tage setzten sie diesen Spazierritt fort.

Indessen waren vier Monate verflossen, und Giafar war
trostlos, seine Verbannung sich verlängern zu sehen, ohne dass irgend ein
außerordentliches Abenteuer ihm Mittel darbot, das zu erraten, was der Kalif
ihm aufgegeben hatte. Dieses Missgeschick presste ihm Tränen aus: Sein Wirt
fragte ihn um die Ursache seiner Trübnis. Der Wesir antwortete: Er fühle
täglich seinen Kummer zunehmen, ungeachtet all seiner freundlichen Bemühungen,
ihn zu zerstreuen. Es wäre ihm Bedürfnis, einsam zu sein, und er hätte sich
vorgenommen, die berühmte Moschee der Ommiaden zu besuchen. Attaf beteuerte, es
würde ihm sehr leid tun, ihm in irgend etwas zu missfallen, und wenn es ihm
beliebte allein auszugehen, würde er sich wohl hüten, ihm beschwerlich zu
sein. Er bot ihm zugleich seine Börse dar, im Fall er Geld bedürfte. Giafar
dankte seinem Wirt für seine Gefälligkeit, stand auf, und ging aus.

Als er zu der Moschee kam, stieg er die dreißig Stufen zu
der Türe Dschirun2) hinauf,
und betrachtete mit Bewunderung die Goldzierraten, Edelsteine, und köstliche
Marmorarbeit, welche diese Türe von allen Seiten schmückte, er ging hindurch,
verließ die Moschee wieder, und wanderte durch mehrere Straßen der Stadt.

Ermüdet von diesem Spaziergang, setzte er sich auf eine
steinerne Bank: Ihm gegenüber befand sich ein Fenster, ganz mit Blumen,
Basiliken und Nelken besetzt. Dieses Fenster öffnete sich, und der Wesir sah
ein junges Frauenbild erscheinen, welche sich lange damit beschäftigte, die
Blumen zu begießen, aber sobald sie den Wesir bemerkte, zog sie sich eilig
zurück. Vergebens wartete er noch lange Zeit, sie erschien den ganzen Tag nicht
wieder.


1) Wady nennen die Araber die
Täler, so wie die Oasen der Wüste.