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744. Nacht

„Ihr seid Herrin an diesem Ort,“ antwortete der
Geist, „Ihr könnt überall hingehen, und hier sind die Schlüssel aller
Gemächer. Ich nehme nur zwei Türen aus, welche Ihr nicht öffnen dürft.“
(Die eine war die Türe der Wohnung, worin Benasir bei dem Vater des Geistes
verschlossen war.)

Die Prinzessin schien sehr erkenntlich für das ihr
bezeigte Zutrauen und ließ denjenigen, der sie gefangen hielt, einige Hoffnung
schöpfen.

Sobald er sich entfernt hatte, war sie eilig darüber her,
alle Türen zu öffnen, deren Schlüssel sie in ihrer Gewalt hatte. Am Ende
eines unabsehlichen Ganges fand sie eine Büchersammlung voll allerlei
Handschriften in verschiedenen Sprachen. Da die Prinzessin eine treffliche
Erziehung erhaltne hatte, so gelang es ihr, darunter einige zu entdecken, welche
von der Magie handelten. Sie verwandte täglich viele Stunden darauf, dieselben
fleißig zu studieren. Nach mehreren Monaten Arbeit fand sie an einer Stelle die
Geschichte des Geistes selber, in dessen Gewalt sie sich befand, und nur mit dem
tiefsten Entsetzten entdeckte sie das Schicksal, welches dem Prinzen Benasir
bevorstand. Sie las, dass der Geist nicht anders das Leben seines Vaters
verlängern konnte als durch Menschenopfer, und sie zweifelte nicht, dass ihr
vermeintlicher Bruder zu einem dieser Schlachtopfer bestimmt, wenn nicht sogar
schon geopfert war.

Getrieben von der lebhaftesten Unruhe, durchlief sie nach
und nach alle Räume, welche sie schon durchsucht hatte, aber alle ihre
Nachforschungen waren vergeblich. Indessen verlor sie nicht die Hoffnung; denn
das Buch, welches sie gelesen, hatte ihr ein Geheimnis enthüllt, welches das
Leben des Geistes in ihre Gewalt gab: Sie wusste, dass in einem der
abgelegensten Winkel des Palastes ein Säbel verborgen war, auf welchem sein
Todesurteil geschrieben stand, und sie beschloss, alles anzuwenden, um denselben
zu entdecken. Sie zweifelte nicht, dass dieser Säbel an dem Ort verborgen
wäre, zu welchem er ihr den Schlüssel vorenthalten hatte, und als er wieder zu
ihr kam, verdoppelte sie ihre Liebkosungen und sprach zu ihm:

„Herr, Ihr wisst, wie weit zuweilen der Eigensinn der
Frauen geht: Dass Ihr mir einen von den Schlüsseln Eurer Gemächer versagt
habt, reizt meine Neugier dermaßen, dass ich mich nicht eher beruhige, als bis
Ihr die Güte habt, sie zu befriedigen.“

Der Geist schien sehr erzürnt über diese Bitte und
antwortete ihr:

„Prinzessin, ich glaubte, dass die Gefälligkeiten,
welche ich Euch bisher erzeigt habe, Euch genügen müssten. Aber ich sehe mit
ebenso großem Missvergnügen als Erstaunen, dass, je mehr ich Euch bewillige,
je mehr Ihr fordert: Ihr werdet erlauben, dass ich mich nicht verpflichtet
halte, Eure Launen zu befriedigen.“