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74. Nacht

„Herr, Euer Majestät kann sich leicht vorstellen,
dass Hindbad nicht wenig über die Worte des Dieners erstaunte. Nach dem, was
dieser gesprochen hatte, durfte er fürchten, dass Sindbad ihn holen ließ, um
ihm irgend eine üble Behandlung widerfahren zu lassen, und er wollte sich damit
entschuldigen, dass er seine Bürde nicht mitten auf der Straße liegen lassen
könnte. Aber der Diener Sindbads gab ihm die Versicherung, dass man darauf Acht
haben würde, und drang so in ihn, dass der Lastträger sich genötigt sah,
seinen Bitten nachzugeben.

Der Diener führte ihn in einen großen Saal, in welchem
eine große Anzahl von Personen um eine mit allen Arten von Speisen besetzte
Tafel saß. Auf dem Ehrenplatz erblickte er eine ansehnliche, wohlgestaltete,
und durch einen langen, weißen Bart ehrwürdige Person, hinter welcher eine
Menge Hausbediente aller Art standen, die sehr eifrig waren, sie zu bedienen.
Die Person war Sindbad. Der Lastträger, dessen Bestürzung sich bei dem Anblick
so vieler Leute und eines so prächtigen Festes vermehrte, grüßte zitternd die
Gesellschaft. Sindbad sagte ihm, er möge näher kommen, und nachdem er ihn zu
seiner Rechten hatte nieder sitzen lassen, legte er ihm selbst Speise vor und
ließ ihm einen trefflichen Wein reichen, mit welchem der Schenktisch im
überfluss besetzt war.

Als Sindbad gegen Ende der Mahlzeit bemerkte, dass seine
Gäste nicht mehr aßen, nahm er das Wort, wendete sich zu Hindbad und sagte:
„Wie ist dein Name, mein Bruder?“ – „Herr,“ erwiderte jener,
„ich nenne mich Hindbad, der Lastträger.“ – „Ich bin sehr
erfreut, dich zu sehen,“ versetzte Sindbad, „und ich stehe dir dafür,
dass auch die Gesellschaft dich mit Vergnügen sieht, aber ich wünschte von dir
selbst zu hören, was du vorhin auf der Straße gesagt hast.“ Sindbad hatte
nämlich, eh‘ er sich zu Tische setzte, durch’s Fenster die ganze Rede des
Lastträgers gehört, und war dadurch veranlasst worden, ihn rufen zu lassen.

Bei diesem Begehren senkte Hindbad voll Verwirrung sein
Haupt und entgegnete: „Herr, ich gestehe euch, dass meine Müdigkeit mich
übellaunig gemacht hatte, und da sind mir denn einige unbedachte Worte
entwischt, die ich euch mir zu verzeihen bitte.“ – „O glaube
nicht,“ versetzte Sindbad, „dass ich ungerecht genug sei, um deshalb
Unwillen zu hegen. Ich versetze mich in deine Lage, und statt dir dein Murren
vorzuwerfen, beklag‘ ich dich, aber ich muss dir einen Irrtum benehmen, in
welchem du dich, in Betreff meiner, zu befinden scheinst. Du bildest dir ohne
Zweifel ein, dass ich ohne Mühe und Arbeit alle die Bequemlichkeiten und die
Ruhe erlangt habe, deren du mich genießen siehst. Enttäusche dich, ich bin zu
einem so glücklichen Zustand erst gekommen, nachdem ich jahrelang alle
Mühseligkeiten des Leibes und der Seele erlitten habe, welche sich die
Einbildungskraft nur vorstellen kann.

Ja, ihr Herren,“ fügte er hinzu, indem er sich an
die Gesellschaft wandte, „ich kann euch versichern, diese Mühseligkeiten
sind so außerordentlich, dass sie fähig wären, den habsüchtigen Menschen die
Luft zu nehmen, die Meere zu durchschiffen, um Reichtümer zu erwerben. Ihr habt
vielleicht nur verworren von meinen seltsamen Abenteuern und von den Gefahren,
die ich auf meine sieben Reisen erlitten habe, reden hören. Ich will euch
darüber einen treuen Bericht abstatten, und ich glaube, dass es euch nicht
unlieb sein wird, ihn zu vernehmen.“

Da Sindbad seine Geschichte hauptsächlich des
Lastträgers wegen erzählen wollte, so befahl er, eh‘ er anfing, man solle die
Bürde, die jener auf der Straße hatte liegen lassen, an den Ort tragen, wohin
Hindbad es verlangte. Hierauf begann er folgendermaßen:

Erste
Reise
Sindbads, des Seefahrers, nach Sumatra

„Ich hatte von meiner Familie ein beträchtliches
Vermögen ererbt, dessen größten Teil ich in den Ausschweifungen meiner Jugend
verschwendete. Aber in mich selbst zurückkehrend, kam ich von meiner
Verblendung zurück und erkannte, dass die Reichtümer vergänglich wären und
ihr Ende bald abzusehen sei, wenn man sie so schlecht als ich zu Rate hielte.
Ich bedachte über dem, dass ich in einem regellosen Leben unglücklicherweise
die Zeit verschwendete, die doch das köstlichste Ding auf der Welt ist. Auch
erwog ich noch, dass Armut im Alter das bedauernswerteste Elend sei. Ich
erinnerte mich jener Worte des großen Salomo, die ich einst von meinem Vater
hatte anführen hören: „Es ist minder traurig, begraben, als arm zu
sein.“

Durch alle diese Betrachtungen veranlasst, raffte ich die
Trümmern meines Erbes zusammen. Ich versteigerte auf offenem Markt, was ich an
beweglichem Eigentum besaß. Sodann verband ich mich mit einigen Kaufleuten, die
über Meer handelten. Ich beriet mich mit denen, die mir geeignet schienen, mir
guten Rat zu erteilen. Endlich beschloss ich, das wenige mir übrig gebliebene
Geld zu benutzen, und sobald ich diesen Entschluss gefasst hatte, zögerte ich
nicht, ihn auszuführen. Ich begab mich nach Balsora1),
woselbst ich mich mit mehreren Kaufleuten auf einem Fahrzeug einschiffte,
welches wir auf gemeinschaftliche Kosten ausgerüstet hatten.

Wir gingen unter Segel und nahmen unsern Weg nach
Ostindien durch den persischen Meerbusen, welcher rechts durch die arabischen
und links durch die persischen Küsten gebildet wird und dessen größte Breite,
nach der gewöhnlichen Meinung, siebzig Meilen beträgt. Außerhalb dieses
Meerbusens ist das Ostmeer, welches auch das indische heißt, sehr ausgedehnt.
Es ist von der einen Seite durch die Küsten Abessiniens begrenzt und bis zu den
Inseln Bakvak2)
4500 Meilen lang. Ich wurde anfangs von der sogenannten Seekrankheit befallen:
Aber meine Gesundheit stellte sich bald wieder her, und seit der Zeit bin ich
immer von dieser Krankheit verschont geblieben.

Im Verlauf unserer Seereise landeten wir an mehreren
Inseln, wo selbst wir unsere Waren verkauften, oder vertauschten. Als wir eines
Tages unter Segel waren, überfiel uns eine Windstille, ganz in der Nähe einer
kleinen, mit dem Wasser fast horizontalen Insel, die wegen ihrer Grüne einer
Wiese glich. Der Schiffshauptmann ließ die Segel einziehen und erlaubte
denjenigen Personen der Mannschaft, welche Lust dazu hatten, an das Land zu
steigen. Ich gehörte zu diesen. Aber während wir uns mit Essen und Trinken
vergnügten und uns von den Beschwerlichkeiten des Meeres ausruhten, erzitterte
plötzlich die Insel und gab uns einen heftigen Stoß.“

Bei diesen Worten hielt Scheherasade inne, weil der Tag
anbrach. Doch nahm sie in der folgenden Nacht ihre Erzählung wieder auf.


1)
Ober Bassra, eine große Stadt in Asien, unter dem Zusammenfluss des Tigris und
des Euphrats im Irak Arabi, auf Befehl Omars, des dritten Kalifen, im Jahr 636
gegründet. Die Türken besitzen es seit 1668. Es wird daselbst bedeutender
Handel getrieben.

2)
Diese Inseln, welche, nach der Behauptung der Araber, jenseits China liegen,
haben ihren Namen von einem Baum, der eine gleichnamige, einem weiblichen
Körper gleichende Frucht trägt. Einige Orientalisten halten sie für die
japanischen, andere für die sundischen Inseln.