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734. Nacht

Jussuf nahm Abschied von dem Greis und küsste ihm die
Hand. Es währte nicht lange, so empfand er auch die guten Wirkungen seiner
Gebete. Der Ruf seiner edelmütigen Handlung hatte sich durch die ganze Stadt
verbreitet. Man lobte seine Unbescholtenheit und Redlichkeit, und zugleich
setzte man voraus, dass ein Mann von so viel Zartgefühl und solcher
Uneigennützigkeit ein Vermögen besitzen müsste, welches ihn über die ihm
verheißene Belohnung erhob: So dass das Lob des jungen ägyptischen Kaufmanns
von Mund zu Mund ging.

Seine Frau selber wurde von seinem Benehmen unterrichte,
und sobald er nach Hause kam, trat sie ihm mit einem Glückwunsch über seine
bewiesene Mäßigung und Weisheit entgegen. Jussuf antwortete ihr mit
Bescheidenheit, dass er nur seine heilige Pflicht erfüllt hätte, indem er
einen Greis über den ansehnlichen Verlust getröstet, welchen derselbe
erlitten. Er fügte hinzu, wenn er auch keine Belohnung dafür gefordert, so
hätte er dennoch eine Wohltat empfangen, welche köstlicher wäre als alle
Schätze der Erde, nämlich, die heißen und reinen Gebete eines Greises.

"Nun wohl," sagte darauf seine Frau, deren
Zufriedenheit durch diese Antwort noch erhöht war, "ihre Wirkung wird
nicht lange ausbleiben."

Nach diesen Worten entfernte sie sich auf einige
Augenblicke, aber sie kam bald wieder und überreichte Jussuf ein Bund
Schlüssel und sprach dabei:

"Der Tod meines ersten Mannes hat mich im Besitz
eines ansehnlichen Vermögens gelassen, und ich wüsste nichts besseres damit zu
tun, als die Verwaltung desselben einem so tugendhaften Mann zu vertrauen, wie
Ihr seid. Ihr könnt Euch gegenwärtig als unumschränkter Herr all meiner Habe
betrachten: Ländereien, Hausgerät, Kleinode, Waren, über alles schaltet nach
Eurem Gefallen."

Sie rief sogleich eine Sklavin und befahl ihr, Jussuf
umherzuführen und ihm alle ihre Besitztümer zu zeigen.

Der junge ägypter sah sich also im Besitz unermesslicher
Reichtümer, welche hauptsächlich in kostbaren Seidenwaren, reichen gestickten
persischen Stoffen, indischem Musselin von der höchsten Feinheit und
Erzeugnissen aller Art von China und Ceylon bestanden. Die Kasse der jungen
Witwe war mit ansehnlichen Summen Goldes angefüllt, welche gleichfalls zu
Jussufs Verfügung gestellt wurden. Jetzt aber, weit entfernt, in jener
Untätigkeit zu verharren, welche ihn in ägypten ins Verderben gestürzt hatte,
beschäftigte er sich eifrig mit den Mitteln, den höchstmöglichen Vorteil aus
dem Vermögen seiner neuen Gattin zu ziehen, und er legte sich ernstlich auf den
Handel. Alles gelang ihm vollkommen. Da er sich durch sein edles Benehmen gegen
den Greis das Vertrauen und die Hochachtung der meisten Einwohner erworben
hatte, so fanden seine Warenlager großen Zulauf. Die Anmut seines Betragens,
die Sanftheit seines Gemüts, die Liebenswürdigkeit seiner Unterhaltung
vermehrten jeden Tag die Zahl seiner Kunden, so dass er in kurzer Zeit einer der
reichsten Kaufleute von Dschidda war.

Das Gedeihen seines Handels und die Vorteile, welche er
vor den andern Kaufleuten voraus hatte, machten ihn aber zum Gegenstand des
Neides bei seinen Genossen, und diese ergriffen auch die nächste Gelegenheit,
welche sich darbot, ihm zu schaden.

Der Scherif von Mekka hatte die Gewohnheit, wenn er Geld
gebrauchte, bei den Kaufleuten von Dschidda die ihm nötige Summe zu entlehnen,
und er bezahlte sie wieder, wenn die Handelsschiffe von Indien kamen, durch den
Betrag der Abgaben, welche er von den Ladungen dieser Schiffe erhob. So hatte
dieser Fürst eines Tages die Kaufleute der Stadt zu sich kommen lassen und
forderte von ihnen die benötigte Summe. Die Kaufleute wähnten, eine günstige
Gelegenheit zu Jussufs Verderben gefunden zu haben, und antworteten dem Scherif:

"Herr, mit dem größten Bedauern müssen wir Euch
das von uns verlangte Geld versagen: Aber es würde uns durchaus unmöglich
sein, es Euch zu verschaffen, wegen des kläglichen Zustandes, in welchem sich
unser Handel befindet: Wir sind zu solcher Dürftigkeit gebracht, dass wir uns
genötigt sehen, unser Hausgerät zu verkaufen, um zu bestehen. Ein einziger
unserer Genossen hat uns in diesen traurigen Zustand versetzt. Er war
unbemittelt, als er die Witwe eines der reichsten Kaufleute unserer Stadt
heiratete, und diese Heirat hat ihn zum Herrn großer Warenvorräte gemacht,
welche er zu geringen Preisen verschleudert, so dass wir nicht gleichen Markt
mit ihm halten können. Von ihm allein könnt Ihr die Summe fordern, um welche
Ihr uns ansprecht."

Diese Anzeige brachte auf den Geist des Fürsten den von
ihren Urhebern erwarteten Eindruck hervor. Er schickte auf der Stelle Soldaten
hin mit dem Befehl, sich Jussufs zu bemächtigen.

Dieser aber war gewarnt vor dem gegen ihn angezettelten
Anschlag und hatte seine Maßregeln getroffen, um allen Nachforschungen zu
entgehen.

Die von dem Scherif Ausgeschickten kamen nach langem
vergeblichen Suchen zurück und meldeten ihm in Gegenwart aller noch
versammelten Kaufleute den Erfolg ihrer Nachforschungen.