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726. Nacht

Abdallah hatte einen Nachbar, welcher einer der reichsten
Kaufleute der Stadt und zugleich einer der größten Bewunderer seiner
Frömmigkeit war. Es geschah nun, dass dieser Kaufmann durch seine
Handelsangelegenheiten gezwungen wurde, sich einzuschiffen und auf ein Jahr lang
zu verreisen. Er besaß eine ansehnliche Summe Goldes, und, um diese während
seiner Abwesenheit in Sicherheit zu bringen, hatte er schon den Entschluss
gefasst, sie zu vergraben. Aber er bedachte, dass der Zufall seinen Schatz
entdecken könnte, und dass es viel sicherer wäre, ihn bei einem Mann
niederzulegen, dessen Vermögen nicht den Handelsunfällen ausgesetzt und der
seines ganzen Vertrauens würdig wäre. Er warf also seine Augen auf Abdallah
und begab sich zu ihm mit der Summe, welche er in Sicherheit bringen wollte. Er
traf ihn, wie er, am Boden liegend nach Mekka zugekehrt, mit lauter Stimme ein
Kapitel des Korans hersagte, welchen er auswendig wusste.

„Lieber Nachbar,“ redete er ihn an, „es tut
mir leid, Euch in Euren frommen Beschäftigungen zu stören, aber eine
Angelegenheit von der höchsten Wichtigkeit führt mich zu Euch.“

„Der Friede sei mit Euch!“, antwortete Abdallah.
„Was ist es für eine Angelegenheit?“

„Nachbar,“ fuhr der Kaufmann fort, „mein
Geschäft zwingt mich, auf einige Zeit zu verreisen, und ich möchte gern eine
ganz ansehnliche Summe, welche ich durch meine Sparsamkeit zusammengebracht
habe, in Sicherheit bringen. Da habe ich gedacht, Ihr werdet es mir nicht
abschlagen, die Bewahrung derselben während meiner Abwesenheit zu übernehmen,
und ich danke Euch schon zum voraus für den Dienst, welchen Ihr mir damit
leisten werdet.“

Abdallah übernahm die Aufbewahrung, und der Kaufmann
setzte zu viel Vertrauen in seine Redlichkeit, um von ihm ein Anerkenntnis der
übergebenen Summe zu fordern. Er ging also in voller Sicherheit zu Schiffe,
nachdem er sich dem Gebet seines frommen Nachbarn empfohlen hatte, der alle
Segnungen des Himmels über seine Reise herab rief.

Diese Wünsche wurden erhört: Die überfahrt des
Kaufmanns war sehr glücklich, er machte seine Geschäfte mit ebensoviel Glück
als Geschwindigkeit ab, und binnen weniger als sechs Monaten war er schon wieder
in seiner Heimat.

Seine erste Sorge war, seinen Nachbar zu besuchen, der
erfreut schien, ihn so gesund wieder zu sehen, ihm zu seiner vollbrachten Reise
Glück wünschte, aber kein Wort von dem ihm anvertrauten Schatz sprach. Nach
einer ziemlich langen Unterhaltung sah der Kaufmann sich endlich genötigt,
Abdallah um die Zurückgabe des Goldes zu bitten, dessen Aufbewahrung er so
gütig übernommen hatte.