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722. Nacht

„Eure Staaten,“ sagte er ihnen, „sind durch
den Sohn eines benachbarten Fürsten, welchen Euer Vater in der Schlacht
tötete, eingenommen. Euer Großwesir, der Euch treu bleib, ist qualvoll
hingerichtet. Aber beruhigt Euch, Eure Untertanen hängen fest an Euch, und sie
würden für Euch die Waffen ergreifen, wenn es nötig wäre. Ich glaube aber
nicht, dass wir ihrer Hilfe bedürfen werden. Diese Nacht will ich Euch nach
Eurem Königreich bringen, und wir werden sehen, was uns am besten zu tun
ist.“

Sie brachten den übrigen Teil des Tages unter Freuden
hin, und als die Nacht kam, begaben sie sich zur Ruhe, deren sie sehr bedurften.

Am folgenden Morgen waren sie ungeachtet der Verheißung
des Geistes doch sehr erstaunt, sich nahe bei ihrer Hauptstadt zu befinden. Sie
traten bei einem Bauer ein, gaben sich für Fremdlinge aus und baten um
Aufnahme, welche er ihnen auch willig gewährte. Das Antlitz dieses Bauern hatte
einen solchen Ausdruck von Betrübnis, dass Chansad nicht dem Verlangen
widerstehen konnte, ihn um die Ursache seiner Traurigkeit zu befragen.

„Guter Fremdling,“ antwortete er ihm, „Ihr
müsst sehr weit herkommen, dass Euch die Ursache meines Kummers unbekannt ist.
Wisst, dass dieses Reich gegenwärtig der Raub eines Wüterichs ist, welchen wir
verabscheuen. Wir hatten einen König, dessen Stamm uns seit achthundert Jahren
beherrschte; und wiewohl keiner seiner Vorfahren sich verhasst gemacht hat, so
übertraf er doch alle an Weisheit und Güte: Er starb, und seine Kinder, welche
auf seiner Bahn fort gingen und alle unsere Hoffnung ausmachten, sind
nacheinander verschwunden, und wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist, so
dass dieses Reich, ohne Oberhaupt, es zu verteidigen, die Beute eines umso
unversöhnlicheren Feindes geworden ist, als unsere Könige ihn bisher siegreich
zurückgeschlagen hatten.“

Diese Rede machte den Fürsten viel Vergnügen, die daraus
ersahen, wie sehr sie betrauert wurden.

Sie besprachen sich miteinander über die zu ergreifenden
Mittel, den Wüterich zu bestrafen und ihr Reich wieder einzunehmen, als sie vor
der Hütte des Bauern vier prächtige Rosse ankommen sahen. Ein Geist, der sie
führte, näherte sich und überreichte dem Prinzen Chansad den ganzen
königlichen Schmuck. Zugleich nahm Habib das Wort und sprach zu ihm:

„Verwundert Euch nicht, dieser Geist befolgt nur
meine Befehle. Bald wird ein anderer Euch Euren Feind in Ketten vorführen, und
seine Truppen werden durch die Einwohner zerstreut werden, welche ich zum
Aufstand bewogen haben. Bereitet Euch nun, wieder in Euren Palast
einzutreten.“

Die Prinzen und die Prinzessin legten die prächtigen
Kleider an, welche ihnen gebracht waren. Sodann stiegen sie zu Pferde und ritten
nach ihrer Hauptstadt.

Das Gerücht von ihrer Ankunft hatte sich bald durch die
Stadt verbreitet, und das Volk zog ihnen haufenweise entgegen, und alle dankten
Gott und dem Propheten, dass die Familie ihrer Fürsten gerettet war.“ –

Da der Tag noch nicht anbrach, so begann Scheherasade auf
die Bitten ihrer Schwester Dinarsade und des Sultans von Indien also die
Geschichte der beiden Ehemänner:

Geschichte der beiden Ehemänner

„Herr, unter der Regierung eines der alten Könige
von ägypten lebte eines der listigsten und verschlagensten Weiber, welches die
Welt jemals hervorgebracht hat; und Ihr werdet Euch leicht einen Begriff von der
Schlauheit dieses Weibes machen, wenn ich sage, dass sie, weit entfernt, sich
den Gesetzen des heiligen Propheten zu fügen, welche den wahren Gläubigen drei
rechtmäßige Frauen erlauben, es vielmehr dahin gebracht, zwei Männer zu
haben, und ihre Maßregeln so wohl genommen hatte, dass keiner von beiden um
seinen Nebenbuhler wusste. Allerdings waren die Gewerbe dieser beiden Männer
von der Art, dass der eine stets am Tage zu Hause war, jede Nacht aber auswärts
zubrachte, während der andere dagegen den ganzen Tag abwesend war und nur des
Nachts zu Hause kam. Der erste namens Haram war ein Räuber und ging alle Nacht
auf sein Handwerk aus. Der andere hieß Akil und war ein Taschenspieler.