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72. Nacht

Scheherasade richtete am frühen Morgen das Wort an
Dinarsade: „Höre,“ sagte sie zu ihr, „meine Schwester, wie Amine
ihre Erzählung fortsetzte:

„Die Alte, welche mich begleitete,“ erzählte
sie weiter, „war im höchsten Grad über den Unfall bestürzt, den ich
erlitten hatte, und bemühte sich, mich zu beruhigen. „Meine
Gebieterin,“ sagte sie zu mir, „ich bitte euch um Vergebung, ich bin
Schuld an diesem Unglück. Ich habe euch zu diesem Kaufmann geführt, weil er
mein Landsmann ist und ich ihn niemals eines so boshaften Streiches fähig
gehalten habe. Aber betrübt euch nicht, verlieren wir keine Zeit, kehren wir
nach Hause zurück. Ich werde euch ein Mittel geben, welches euch in drei Tagen
so vollkommen heilen wird, dass man nicht die geringste Spur sehen soll.“
Meine Ohnmacht hatte mich so geschwächt, dass ich kaum gehen konnte. Ich
gelangte jedoch bis in meine Wohnung, aber ich wurde zum zweiten Mal ohnmächtig,
als ich in mein Zimmer trat. Inzwischen wendete die Alte ihr Mittel an. Ich kam
wieder zu mir selbst und legte mich ins Bett.

Als es Nacht geworden war, kam mein Mann. Er sah, dass ich
den Kopf verhüllt hatte und fragte mich, was mir fehle. Ich antwortete ihm,
dass es ein Kopfschmerz sei, und glaubte, dass er nun nicht weiter forschen
würde, aber er nahm ein Wachslicht, und da er sah, dass ich an der Wange
verwundet war, fragte er mich, woher diese Wunde käme. Obgleich ich eben kein
großes Verbrechen begangen hatte, so konnte ich mich doch nicht entschließen,
ihm die Sache zu gestehen. Solch ein Geständnis einem Mann zu machen, schien
mir die Schicklichkeit zu verletzen. Ich sagte ihm, dass, als ich mit seiner
Erlaubnis ausgegangen wäre, um einen Seidenstoff zu kaufen, ein mit Holz
beladener Lastträger in einem engen Gässchen so nahe bei mir vorbeigegangen
sei, dass mir ein Scheit Holz eine Schramme geritzt hätte, die aber wenig
bedeute.

Diese Ursache versetzte meinen Mann in Zorn. „Solch
eine Handlung,“ sagte er zu mir, „soll nicht unbestraft bleiben. Ich
werde morgen den Polizeimeister Befehl erteilen, alle die flegelhaften
Lastträger festzunehmen und sie alle hängen zu lassen.“

In der Furcht, die ich hatte, den Tod so vieler
Unschuldigen zu verursachen, sagte ich zu ihm: „Herr, es würde mir sehr
leid tun, wenn eine so große Ungerechtigkeit begangen würde. Hütet euch ja,
sie zu begehen. Ich würde mich der Vergebung unwert achten, wenn ich dieses
Unglück veranlasst hätte.“ – „Sagt mir also aufrichtig,“
versetzte er, „was ich von eurer Verwundung denken soll.“

Ich erwiderte ihm, dass ich durch die Unachtsamkeit eines
auf einem Esel reitenden Besenverkäufers dazu gekommen wäre, dass er hinter
mir geritten sei und den Kopf auf eine andere Seite gewendet und dass sein Esel
mich so heftig gestoßen hätte, dass ich auf die Erde und mit der Backe auf
Glas gefallen wäre. „Wenn das ist,“ sagte nun mein Mann, „so
soll die Sonne morgen früh nicht aufgehen, ohne dass der Großwesir Giafar von
dieser Unverschämtheit benachrichtigt ist. Er wird alle diese Besenverkäufer
töten lassen.“ – „Im Namen Gottes, Herr,“ unterbrach ich ihn,
„ich bitte euch, ihnen zu vergeben, sie sind nicht strafbar.“ –
„Aber, Frau,“ sagte er, „was soll ich denn glauben? Redet, ich
will durchaus aus eurem Munde die Wahrheit erfahren.“ – „Herr,“
entgegnete ich ihm, „es ist mir eine Betäubung zugestoßen und ich bin
gefallen, so ist die Sache.“

Bei diesen letzten Worten verlor mein Mann die Geduld.
„Ha!“, rief er aus, „nun hab‘ ich lange genug Lügen
angehört.“ Indem er dies sagte, klatschte er mit den Händen, und es
traten drei Sklaven herein. „Reißt sie aus dem Bett,“ sagte er zu
ihnen, „und legt sie ausgestreckt mitten ins Zimmer.“ Die Sklaven
erfüllten seinen Befehl, und als mich der eine beim Kopf, der andere bei den
Beinen hielt, befahl er dem dritten, einen Säbel zu holen, und als dieser ihm
gebracht hatte, sagte er zu ihm: „Hau‘ zu, schlag ihr den Kopf ab und wirf
ihn in den Tigris. Er soll den Fischen zur Nahrung dienen. Dies ist die
Bestrafung, welche ich diejenigen Personen erleiden lasse, denen ich mein Herz
geschenkt habe und die treulos gegen mich sind.“ Da er sah, dass der Sklave
nicht zu gehorchen eilte, fuhr er fort: „So hau‘ doch! Wer hält dich auf?
Was erwartest du?“ – „Gnädige Frau,“ sagte hierauf der Sklave zu
mir, „der letzte Augenblick eures Lebens ist ganz nahe. Bedenkt, ob ihr
noch irgend etwas vor eurem Tode anzuordnen wünscht.“

Ich bat um die Erlaubnis, ein Wort sagen zu dürfen. Sie
wurde mir bewilligt. Ich erhob das Haupt und sagte, indem ich meinen Gatten sehr
zärtlich betrachtete: „Ach, in welchen Zustand seh‘ ich mich
versetzt!“ Ich wollte mehr sagen, aber meine Tränen und Seufzer hinderten
mich daran. Das Alles rührte meinen Gatten nicht. Im Gegenteil, er machte mir
Vorwürfe, auf welche jede Erwiderung unnütz gewesen wäre.

Er sagte mir folgende Verse vor:

„Wenn ich bei der, die ich liebe, einen Mitgenossen
(Nebenbuhler), habe, so wird meine Seele die Liebe meiden, sollte ich auch vor
Sehnsucht vergehen.
Mein Trost würde sein, dass ich eines edlen Todes sterbe1),
denn es ist ohnedem kein Heil bei einer Liebe, bei welcher ein Gegner
(Nebenbuhler) ist.
Sage der, die meine Verbindung verschmäht, mich betrogen, und einen andern
Geliebten außer mir erwählt hat: Ich bin deiner überdrüssig geworden, ehe du
meiner satt wurdest und was zwischen uns vorgefallen, ist hiermit genug.“

Als ich dieses hörte, o Beherrscher der Gläubigen,
weinte ich bitterlich, sah ihn schmerzlich an und sang folgende Verse:

„Du hast in mir Liebe erweckt, während du ruhig
bliebst: Du verursachst meinen tränenwunden Augen schlaflose Nächte, und du
genießest den Schlaf.
Du hast dich zwischen meinen Augen und den Schlaf gestellt, denn mein Herz kann
dich nicht vergessen und meine Tränen lassen sich nicht verbergen.
Du hast mir heilig Treue gelobt, als du aber mein Herz besaßest, hintergingst
du mich.
Ich liebe dich, weil ich ein unverständiges Mädchen war, ich kannte noch nicht
die Liebe. Strafe mich also nicht mit dem Tode, denn ich bin erst ein
Lehrling.“

Dann fügte ich noch folgende Verse hinzu:

„Mit der ganzen Last der Sehnsucht hast du mich
belagert, und ich bin kaum fähig, meine Gewande zu tragen!“
„Ich würde mich nicht wundern, wenn der Schmerz mich tötete, aber
erstaunen muss ich, dass mein Körper, seitdem ich dich sah, noch zu erkennen
ist.“
Als er mich angehört hatte, redete er ich zornig an, überhäufte mich mit
Vorwürfen und sang:
„Die Liebe zu einem andern hat dich von mir abgewandt, und du bist zuerst
erkaltet, wahrlich so war ich nicht.
Wohlan, ich werde von dir gehen, da du mein Bleiben verabscheust und werde das
Leben ohne dich ertragen können, wie du es ohne mich erträgst.
Statt dir werde ich ein Wesen finden, das mich lieben kann, aber unseren Bruch
schreibe ich dir allein zu, nicht mir.“

Ich nahm nun zum Bitten meine Zuflucht: aber er hörte
nicht darauf und befahl dem Sklaven, seine Schuldigkeit zu tun. In diesem
Augenblick trat die alte Frau, welche die Amme des Mannes gewesen war, ins
Zimmer und warf sich ihm zu Füßen, um zu versuchen, ob sie ihn besänftigen
könnte: „Mein Sohn,“ sagte sie zu ihm, „zum Lohn dafür, dass
ich euch gesäugt und erzogen habe, beschwöre ich euch, mir ihre Begnadigung zu
bewilligen. Bedenkt, dass, wer da tötet, getötet wird, dass ihr euren Ruf
beflecken und die Achtung der Menschen verlieren werdet. Was werden sie nicht
von einem so blutdürstigen Zorne sagen?“ Sie sprach diese Worte auf eine
so rührende Weise aus und begleitete sie mit so vielen Tränen, dass sie deinen
starken Eindruck auf meinen Gatten machten. „Nun wohl,“ sagte er zu
der Amme, „dir zu Liebe schenke ich ihr das Leben. Aber sie soll Zeichen
tragen, die sie an ihr Verbrechen erinnern.“

Nach diesen Worten gab mir, auf seinen Befehl, ein Sklave
aus allen Kräften mit einem biegsamen Röhrchen, welches Haut und Fleisch
wegriss, so viel Schläge auf die Rippen und die Brust, dass ich davon die
Besinnung verlor. Hierauf ließ er mich von denselben Sklaven, den Dienern
seiner Wut, in ein Haus bringen, woselbst die Alte mich sehr sorgfältig
pflegte. Ich musste vier Monate lang das Bett hüten. Endlich genas ich, aber
die Narben, welche ihr gestern saht, sind mir, wider meinem Willen geblieben.
Sobald ich im Stande war, auszugehen, wollte ich in das Haus zurückkehren,
welches ich von meinem ersten Mann geerbt hatte, aber ich fand nur die leere
Stelle. Mein zweiter Gatte hatte sich im übermaß seines Zornes nicht damit
begnügt, es niederreißen zu lassen, er hatte sogar die ganze Straße, auf
welcher es stand, auf gleiche Weise vernichtet. Diese Gewaltsamkeit war ohne
Zweifel eine unerhörte, aber gegen wen sollte ich klagen? Der Urheber hatte
Maßregeln genommen, sich zu verbergen, und ich konnte nicht herausbringen, wer
er wäre. über dem, wenn ich es auch herausgebracht hätte, sah ich nicht, dass
die mir widerfahrene Behandlung von einer unumschränkten Gewalt kam? Hätte
ich’s wagen können, mich darüber zu beklagen?

Trostlos, aller Habe beraubt, nahm ich meine Zuflucht zu
meiner lieben Schwester Sobe