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716. Nacht

„Das ist unsere Wohnung,“ sprach Abutawil zu
mir; „morgen sollst Du auch Frauen zur Bedienung haben.“

Seitdem bewohne ich nun diesen Ort, wo nichts an meinem
Glück fehlen würde, wenn ich bei meinen Verwandten und fern von dem Ungeheuer
wäre, welches mich hier zurückhält und mich zum Zeugen seiner Grausamkeit
macht. Er hat die Gewohnheit, sich auf vierzig Tage zu entfernen, um den
Karawanen nachzustellen: Er tötet und beraubt die Führer derselben und kommt
dann auf drei Tage heim. Morgen muss er kommen, und da er ein erklärter Feind
aller Menschen ist, so schaudere ich bei dem Gedanken an den Empfang, der Dir
von ihm bevorsteht.“

Chansad wurde durch die Erzählung seiner Schwester nicht
erschreckt. Er erinnerte sie daran, dass er schon im Alter von achtzehn Jahren
die sieben Könige von Indien überwunden hatte, und versicherte sie, er würde
nicht anstehen, den Geist anzugreifen und alle Anstrengungen machen, um sie zu
befreien, aber er konnte ihre Unruhe nicht beschwichtigen.

Sie brachten die Nacht unter solchen Gesprächen zu. Mit
Anbruch des Tages sah die Prinzessin auch den Augenblick herannahen, wo Abutawil
erscheinen würde. Sie flehte ihren Bruder an, nichts gegen ihn zu unternehmen,
sondern sich bewegen zu lassen, bis zur Wiederabreise des Geistes sich verborgen
zu halten. Der Sultan gab den Tränen seiner Schwester nach, und kaum hatte er
sich in dem entlegensten Winkel des Palastes versteckt, als Abutawil erschien.

Alles zitterte bei seiner Annäherung. Die Prinzessin
verbarg ihre Unruhe, flog ihm entgegen, und nachdem sie ihn zärtlich umarmt
hatte, beklagte sie sich, so lange des Glückes seines Anblickes beraubt gewesen
zu sein.

Der Geist, der wohl wusste, dass Chansad in seinem Palast
war, machte seiner Gattin lebhafte Vorwürfe über ihr Stillschweigen von ihm.

„Kannst Du,“ sprach er zu ihr, „wegen der
Aufnahme besorgt sein, welche ich Deinem Bruder zugedacht habe, der, ohne mich
zu kennen, und mich für einen armen Sterblichen haltend, dennoch den Edelmut
gehabt hat, mir Deine Hand zu bewilligen, als ich ihn darum angesprochen habe?
Verstelle Dich nicht länger und beraube mich nicht des Vergnügens, ihn zu
sehen. Ich weiß, wo er verborgen ist, aber ich wünsche, dass Du selber mich zu
ihm führst.“

Die Prinzessin hatte kein großes Vertrauen auf die
Beteuerungen ihres Gemahls. Da sie aber wohl sah, dass es unnütz war, ihm die
Wahrheit zu verhehlen, so führte sie ihn nach dem Zimmer, in welches der Fürst
sich zurückgezogen hatte. Abutawil empfing ihn aufs freundlichste, er umarmte
ihn zärtlich und führte ihn in das Zimmer seiner Gattin, wo er ihm
Erfrischungen vorsetzen ließ. Kurz, er bewirtete ihn so wohl, dass Chansad, von
diesen Freundschaftsbeweisen gerührt, nicht begreifen konnte, wie Aischah
irgend eine üble Behandlung von ihm fürchten konnte.

So brachten sie drei Tage unter Festen und
Ergötzlichkeiten hin, durch welche der Geist sich zu gefallen schien, die
Zuneigung zu beweisen, welche er gegen den Bruder seiner Gattin hegte.

Als der Augenblick gekommen war, dass Abutawil wieder auf
vierzig Tage abreisen musste, lud er den Sultan ein, noch einige Zeit bei seiner
Schwester zu verweilen.

„Ich habe eine kleine Reise zu machen,“ sprach
er zu ihm, „und ich hoffe, Euch bei meiner Heimkehr noch zu finden. Bleibt
hier und betrachtet Euch als den Herrn meines Palastes. Aber bevor ich abreise,
möchte ich Euch noch meinen Garten zeigen.“

Chansad reichte ihm die Hand zum Zeichen seines Dankes,
und sie gingen zusammen hinaus.

Die Prinzessin erwartete vergeblich bis zum folgenden
Morgen die Rückkehr ihres Bruders; und überzeugt, dass er als ein
Schlachtopfer der Treulosigkeit ihres Mannes umgekommen wäre, zerriss sie ihre
Kleider und klagte in ihrem Schmerz sich als die Ursache des Untergangs ihrer
Familie an.