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710. Nacht

Mehrere Hofleute waren vorausgeeilt, um diese gute
Neuigkeit der Mutter und seiner Schwester zu verkündigen, und wurden von diesen
mit Geschenken überhäuft. Endlich kam er selber, und nachdem er beide umarmt
hatte, erzählte er ihnen, was ihm soeben begegnet war. Sie erzählten ihm
ihrerseits, was seit seiner Gefangennehmung vorgegangen war, die Plünderung
ihres Hauses und die schreckliche Not, in welcher sie drei Tage lang gelebt
hatten.

„Aber,“ entgegnete der junge Kammerherr seiner
Mutter, „woher kommt denn nun alles dies, was ich hier sehe? Ist diese
Pracht hier im Haus die Wirkung einer Bezauberung oder ein Traum?“

„Nein, mein Sohn, es ist ein Geschenk meines
Schwiegersohnes.“ –

„Eures Schwiegersohnes? Wie, ist denn meine
Schwester, ohne meine Einwilligung, vermählt, seit wann und mit wem?“ –

„Seit gestern, und zwar mit einem Räuber.“ –

„Mit einem Räuber?“, erwiderte er und konnte
kaum seinen Zorn zurückhalten. „Wie! Ihr habt meine Schwester einem
Räuber geben können? Sagt mir, wo er ist, damit ich auf der Stelle hingehe,
seine Vermessenheit zu züchtigen.“ –

„Sei ruhig, mein Sohn, er hat hier schon ebenso
furchtbare Leute gesehen, wie Du bist, ohne dass sie ihn erschreckt haben.“

Und nun erzählte sie ihm alles das Außergewöhnliche,
was dieser geheimnisvolle Mensch ausgerichtet hatte. „Er hat uns
versprochen,“ fuhr sie fort, „hinzugehen und Deine Begnadigung vom
Kalifen zu erbitten, Dir Deine Güter wiedererstatten und Dich mit neuen Ehren
bekleiden zu lassen: Und kaum hat er uns verlassen, so sehen wir Dich
heimkommen, und ohne Zweifel verdanken wir ihm dieses glückliche
Ereignis.“

„Aber nun,“ fragte sie ihr Sohn, „wie
heißt er denn?“ –

„Das gerade kann ich Dir nicht sagen: Vergebens habe
ich die von ihm hergeschickten Arbeiter danach gefragt. Alles, was ich weiß,
ist, dass er den Beinamen Albondukani führt.“

Bei diesem Namen springt der junge Mann wie außer sich
auf und küsst sogleich sieben Mal den Boden.

„Ei, mein Sohn!“, sprach nun die Mutter zu ihm,
„verdreht er Dir auch den Kopf? Dir, der ihm ja auf der Stelle den seinigen
abhauen wollte?“

„Meine Mutter, meine Mutter, der, den ihr soeben
genannt habt, ist – der Beherrscher der Gläubigen, der mächtige Harun
Arreschyd!“

„Wär‘ es möglich?“, rief die Mutter aus.
„Ach, ich Unglückliche, ich habe ihn als Räuber behandelt: Nimmermehr
wird er mir die Beschimpfungen verzeihen, womit ich ihn überhäuft habe.“

Als sie diese Worte sprach, sah sie den Kalifen eintreten
und floh aus dem Zimmer, aber der Fürst, als er vernahm, dass sie nicht mehr
vor ihm zu erscheinen wagte, ließ sie bitten, nur hereinzukommen, und sprach
freundlich zu ihr:

„Wie nun, meine Mutter, Ihr flieht ja vor dem, den
Ihr zum Herrn haben wolltet.“

Die Alte flehte seine Verzeihung an, und der Kalif ließ
sogleich einen Kadi holen, verstieß die Enkelin Chosrus und gab sie seinem
Kammerherrn zur Frau. Er selber feierte seine Hochzeit mit seiner neuen Gemahlin
in Gegenwart des ganzen Hofes mit der größten Pracht: Reiche Almosen wurden
bei dieser feierlichen Gelegenheit den Armen gespendet.“

Scheherasade erbot hierauf dem Sultan von Indien, ihm das
nächste Mal die Geschichte der beiden Prinzen von Cochinchina und ihrer
Schwester zu erzählen, und mit seiner Erlaubnis begann sie in der folgenden
Nacht also: