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706. Nacht

Als der Verschnittene bei dem Schein der ihm leuchtenden
Lampe den Kalifen herannahen sah, sprang er ihm mit dem Säbel in der Hand
entgegen und fragte ihn, wo er hinwollte.

„Was geht’s Dich an, Elender?“, antwortete ihm
der Kalif mit furchtbarer Stimme; und der Verschnittene, so erschrocken, als
wenn er einen Löwen gesehen hätte, der ihn zu verschlingen drohte, entfloh zu
seinem Herrn und kam ganz zitternd herein. Dieser fragte ihn nach der Ursache
seiner Furcht, und stammelnd antwortete der Verschnittene:

„Ach, Herr, indem ich die Türe bewachte, trat ein
Mann herein. Ich wollte ihn hindern, seinen Weg fortzusetzen, und drohte, ihn zu
schlagen. Da antwortete er mir: „Flieh, elender Sklave!“, und seine
Stimme hat mich dermaßen erschreckt, dass ich es für meine Pflicht gehalten
habe, Euch anzuzeigen, was vorgeht.“

„Ha, wie!“, rief der Emir aus, indem er wütend
aufsprang, „wer ist der Verwegene, der meine Leute in meinem Haus so zu
beschimpfen wagt? Ich will sogleich seine Unverschämtheit bestrafen.“

Dies gesagt, bewaffnete er sich mit einer ungeheuren Keule
und stürzte dem Unbekannten entgegen mit dem Ausruf: „Wo ist er? Wo ist
er?“

„Hier, Junis!“, entgegnete ihm der Kalif: Und
der wilde Emir, der sogleich die Stimme des Kalifen erkannte, warf sich zu Boden
und bat ihn um Verzeihung.

„Ei, ei,“ sprach Harun zu ihm, „während Du
ruhig zu Hause sitzt, leidest Du, dass mein Polizeibeamter in Deine
Nachbarschaft kommt und unglückliche Weiber misshandelt, welche keinen Mann zu
ihrer Verteidigung haben, und Du denkst nicht daran, die Willkür dieses
unwürdigen Beamten zurückzuweisen!“

„Herr,“ sagte Junis, „hätte ich nicht das
Amt geehrt, welches er bekleidet, und nicht gefürchtet, ihn in Vollstreckung
der Befehle Eurer Majestät zu hindern, so würde er schon längst die verdiente
Züchtigung empfangen haben: übrigens dürft Ihr nur ein Wort sagen, und ich
gehe auf der Stelle hin, diese elende Häscherschar zu zerstreuen. Kein
Polizeibeamter, kein solches Gesindel dürfen einem Mann, wie ich bin,
widerstehen.“

Der Kalif dankte ihm für seinen Diensteifer und sagte, er
wollte in seinem Haus auf das flache Dach steigen. Der Emir führte den Fürsten
dahin, und von dort konnten sie das bestürmte Haus gut sehen. Der Kalif ließ
Anstalt machen, dorthin zu kommen, und mit Hilfe einer Strickleiter ließ er
sich auf das flache Dach des Hauses der Frauen hinab und hieß Junis ihn dort
erwarten und sich bereithalten, seine Befehle zu vollstrecken.

Er schlich leise über das Dach hin, stieg, ohne bemerkt
zu werden, hinab ins Haus und war ganz geblendet von dem Glanz desselben, indem
es mit Vergoldungen bedeckt, mit allerlei künstlicher Arbeit geziert und von
einer Menge Kronleuchter und Kerzen erhellt war. Die Braut, auf einem
glänzenden Thron sitzend, war mit dem reichsten Putz bekleidet und glich der
Sonne in ihrem vollen Glanz oder dem Vollmond.

Während der Kalif, noch ungesehen, sie betrachtete,
hörte er ihre Mutter zu ihr sagen:

„Wehe, meine Tochter, was soll aus uns werden? Wer
kann uns von der Wut dieser Leute befreien? Ach, wie sind wir zu beklagen? Warum
muss auch dieser Räuber kommen, um Dich zu werben! Ach, wenn Dein
unglücklicher Vater noch lebte…! Aber wir müssen uns in den Willen Gottes
ergeben.“

„Liebe Mutter,“ antwortete das junge Mädchen,
„er hat uns den Mann gesendet, welchem Ihr mich zur Frau gegeben habt, und
Ihr tut unrecht, mich zu kränken und ihn einen Räuber zu nennen.“

„Ach, der Unglückliche!“, sprach die Alte,
„möge der Himmel ihn bewahren, diese Nacht hierher zu kommen, denn man
würde ihm übel mitspielen!“