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701. Nacht

Aber ihr Zutrauen verließ sie, sobald sie in das Haus dieses Beamten trat:
Als sie ihn von mehreren andern Richtern umgeben sah, stockte sie und kehrte um;
dann warf sie sich ihre Schwachheit vor und schritt wieder vorwärts, wurde
nochmals eingeschüchtert, trat wiederum bis an die Türe und streckte den Kopf
hinein. Ihre verschiedenen Bewegungen machten, dass der Kadi sie bemerkte,
welcher dem Türsteher befahl, sie hereinzuführen.

Die gute Frau ließ sich nicht lange bitten: Sie trat herein; und nachdem der
Kadi sie gefragt hatte, was sie wollte, antwortete sie ihm, es wäre jemand bei
ihr, der ihn zu sprechen verlangte.

„Und wer ist dieser Mann, der verlangt, dass ich zu ihm kommen
soll?“, fragte der Kadi.

„Herr,“ antwortete die Alte, „es ist Albondukani.“

„Albondukani!“, rief der Kadi aus, indem er sich erhob, „fort,
lasst uns eilen!“ Und ohne die Fragen der Gegenwärtigen, wohin er ginge,
zu beantworten, machte er sich sogleich auf den Weg.

„Bei meiner Treu,“ sagte die Alte bei sich selber, „es
scheint, der Kadi ist kein großer Held. Der arme Mann hat sicher von meinem
Schwiegersohn einmal Stockprügel bekommen und nicht Lust, noch mehr zu kriegen:
Deshalb ohne Zweifel beeifert er sich so sehr, seinen Befehlen
nachzukommen.“

Als der Kadi in das Haus getreten war, sah er wohl, dass der Kalif nicht
erkannt sein wollte; er gab ihm den gewöhnlichen Salam und erkundigte sich, was
er von ihm begehrte.

„Es ist hier,“ sagte der Kalif, „ein Heiratsvertrag zwischen
mir und dieser Jungfrau, die ich ehelichen will, aufzusetzen.“

Der Kadi fragte hierauf die beiden Frauen, wie groß der Brautschatz sein
sollte; und nachdem er vernommen, dass er auf viertausend Goldstücke bestimmt
war, so schickte er sich an, den Vertrag aufzusetzen; aber er hatte vergessen,
Papier mitzubringen; gleichwohl fürchtete er sich so sehr, die Befehle seines
Herrn nicht auf der Stelle zu erfüllen, dass er seinen Rockschoß nahm und
damit anfing, den Namen des Kalifen und seiner Ahnen oben an die Spitze des
Vertrages zu schreiben.

Nachdem dies geschehen war, wandte er sich zu der Schweigermutter und fragte
nach ihrem Namen sowie nach denen ihres Mannes und dessen Vaters.

Auf diese Frage konnte die Alte ihre Tränen nicht zurückhalten.
„Ach,“ rief sie aus, „müssen wir in solchen Stand der
Erniedrigung herabgesunken sein, dass ein Räuber ungestraft bei mir Eingang
findet und mir noch dazu meine Tochter entführt! Ja, wenn mein Mann noch lebte,
so würde uns das nimmer begegnet sein.“

„Beruhigt Euch,“ sprach der Kadi zu ihr, „Gott beschützt die
Unglücklichen und Waisen.“

Aber diese Tröstungen machten keine große Wirkung auf die Alte, welche
fort fuhr zu jammern. Ihre Wehklagen machten den Kalifen sehr zu lachen und
nötigten den Kadi, alle Anstrengungen zu machen, um seine Amtswürde zu
behaupten.

Als er fertig war, schnitt er seinen Rockschoß ab, übergab den darauf
verfassten Vertrag dem Kalifen und wollte wieder weggehen. „Ei wie!“,
rief die Alte aus, indem sie sich zu ihrem Schwiegersohn wandte, „Ihr gebt
also diesem ehrwürdigen Beamten nichts, der Euch zu Gefallen seinen Rock
aufgeopfert hat?“

„Er mag gehen,“ antwortete der Kalif, „ich habe ihm nichts zu
geben.“

„Großer Gott,“ fuhr die Alte fort, „wie habgierig die Räuber
sind! Sie begnügen sich nicht, einem Mann, der ihnen Dienste geleistet hat,
nichts zu geben, sie müssen ihn auch noch berauben.“

Der Kalif lachte sehr über diese Ausrufungen, und er beurlaubte sich bald
nach dem Kadi mit der Ankündigung, er ginge hin, die viertausend Goldstücke zu
holen samt den Geschenken, welche er seiner Braut zu geben gedächte.

„Ha, Spitzbube,“ sagte hierauf die Schwiegermutter zu ihm, „Du
gehst ohne Zweifel hin, noch einige Kaufleute zu plündern und sie an den
Bettelstab zu bringen, um uns Geschenke zu machen!“

Sobald Harun in seinen Palast zurückkam, warf er seine Verkleidung ab und
ließ Maler, Tischler und Marmorarbeiter vor sich kommen; und als sie da waren,
ließ er jedem zweihundert Stockprügel geben, um sie desto eifriger zu machen,
die Befehle, welche er ihnen erteilen wollte, auszuführen. Hierauf machte er
ihnen seinen Willen kund. Er bezeichnete ihnen das Haus seiner Schwiegermutter
und deutete ihnen an, wenn sie nicht vor Ende des Tages die Arbeit vollendet
hätten, welche er ihnen befahl, so würde er ihnen die Hände abhacken lassen.