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698. Nacht

„Ich habe sie nicht gestohlen,“ antwortete der
Mann, „es ist ein Geschenk von einem der Kammerherrn des Kalifen. Kommt
her, freut euch alle mit mir und verzehrt sie.“

„Was?“, rief die Frau aus, „Du willst diese
Kuchen essen, während Deine Kinder nichts haben, ihre Blöße zu bedecken?
Schämst Du Dich nicht dieses Gelüstes? Geh lieber hin und verkaufe die Kuchen;
es ist für eine ansehnliche Summe, und wir können Geld daraus lösen.“

Der Wächter sah sich genötigt, seiner Frau nachzugeben,
welche die Kuchen zu einem Ausrufer hintrug. Dieser rief sie zum Verkauf aus;
mehrere Käufer fanden sich ein, und der Handel sollte eben geschlossen werden,
als einer von ihnen auf dem Rand der Schüssel eine Inschrift entdeckte, welche
anzeigte, dass die Kuchen auf Befehl des Befehlshabers der Gläubigen gebacken
waren.

„Unglücklicher,“ sprach er zu dem Ausrufer,
„willst Du an den Galgen, dass Du diese Kuchen so verkaufst? Siehst Du
nicht, dass sie dem Beherrscher der Gläubigen gehören?“

Der Ausrufer war sehr erschrocken, als er die Wahrheit der
ihm angegebenen Anzeige erkannte; und um die Gefahr, die ihm drohte, von sich
abzuwenden, hielt er es für das ratsamste, gerade nach dem Palast ds Kalifen zu
gehen und die Kuchen, welche man ihm zu verkaufen gegeben hatte,
zurückzutragen.

Harun geriet in großen Zorn, als er vernahm, dass man
einem öffentlichen Ausrufer die Kuchen übergeben, welche er selber so
sorgfältig zubereitet hatte; er fragte den Ausrufer, wer ihm diese Kuchen
gebracht hätte. Dieser nannte den Wächter des Stadtviertels. Es wurde sogleich
hingeschickt, diesen Unglücklichen zu holen; man band ihm die Hände auf den
Rücken und führte ihn vor den Kalifen. „Wehe,“ sagte der Wächter
bei sich selber, „mein verdammtes Weib ist schuld an allem diesem Unglück:
Hätte sie uns die Kuchen essen lassen, so wäre ich nicht in diesen bösen
Handel verwickelt worden.“

Als der Wächter dem Kalifen vorgeführt war, fragte
dieser Fürst ihn, von wem er die Kuchen hätte. Der Wächter gestand sogleich,
dass er sie der Freigebigkeit eines der Kammerherrn des Palastes verdankte,
dessen Wohnung er auch angab.

Harun geriet in noch heftigeren Zorn, als er vernahm, dass
einer von seinen Beamten sich des Verbrechens schuldig gemacht hatte, dessen
Urheber er nachforschte; er befahl auf der Stelle, ihn zu holen und ihn mit dem
Gesicht auf dem Boden herbeizuschleppen, nachdem man ihm den Turban abgerissen
hätte.

Seine Befehle wurden vollzogen: Die Abgeschickten des
Kalifen erschienen an der Tür des Kammerherrn und klopften ungestüm an. Sie
bemächtigten sich seiner mit den Worten: „Armer Aladdin, es tut uns sehr
leid, dass wir uns genötigt sehen, den Willen unsers Herrn zu vollstrecken,
welcher uns befohlen hat, Dein Haus der Plünderung preiszugeben, Deinen Turban
zu zerreißen und Dich vor ihn zu führen: Aber wir können nicht umhin, zu
gehorchen.“

Als Aladdin vor dem Kalifen erschien, fragte dieser Fürst
ihn wütend, ob er den Wächter des Stadtviertels kenne, und auf die bejahende
Antwort befahl er ihm, zu gestehen, von wem er die überbrachten Kuchen hätte.

Aladdin erzählte hierauf unbefangen, was zwischen ihm und
einer jungen Frau mit einer Alten vorgegangen: Er sagte, diese beiden Frauen
hätten ihn um ein Glas Wasser angesprochen und zum Lohn für seine
Gefälligkeit ihm die Schüssel mit Kuchen geschickt, womit er dem Wächter des
Stadtviertels ein Geschenk gemacht.

Diese Erklärung besänftigte den Zorn des Kalifen.
Unglücklicherweise aber fragte er seinen Kammerherrn, ob er in dem Augenblick,
als die junge Frau ihren Schleier aufgehoben, um zu trinken, ihr Gesicht gesehen
hätte. Aladdin antwortete unwillkürlich, er hätte es gesehen. Dieses
Geständnis erneuerte den Zorn des Kalifen: Er ließ die Prinzessin von Persien
herbeiführen und befahl, ihr wie auch dem Kammerherrn das Haupt abzuschlagen.