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694. Nacht

Eine Sklavin, die zum Zeitvertreib aus dem Fenster
schaute, erkannte von ferne ihren jungen Herrn mit ihrem Nachbarn, und sogleich
rief sie aus: „Unser junger Herr ist wieder da! Da kommt er; ich habe ihn
gesehen!“

Alle hielten sie für verrückt, und der Geist ergriff
schon die Peitsche, um ihr Stillschweigen aufzulegen, als man auf einmal an die
Türe klopfen hörte. Der Erste, der eintrat, als man öffnete, war unser junger
Reisender. Seine Erscheinung brachte die überraschendste Wirkung in Ali
Dschoharis Haus hervor, welches jetzt jener Stadt glich, wo alle Leute in
unbewegliche Bildsäulen waren verwandelt worden.

Auf dieses äußerste Erstaunen folgte ebenso große
Freude; jeder drückte sie auf seine Weise aus: Einige weinten vor Rührung,
andere stießen ein lautes Jubelgeschrei aus, liefen durch das ganze Haus und
wiederholten den Namen des Neuangekommenen.

Der Vater und die Mutter, in tiefer Zurückgezogenheit im
Harem, verwundert über diesen plötzlichen Lärm, traten hervor, um die Ursache
desselben zu wissen, in demselben Augenblick, als die alte Amme ihres Sohnes
herbeikam, um ihnen seine Ankunft zu verkündigen. Dieser folgte ihr auf dem
Fuß, und zu gleicher Zeit stürzte er sich in die Arme seiner Eltern. Diese
überraschung hätte der Mutter, die mehrmals in Ohnmacht fiel, beinahe das
Leben gekostet.

Als die ersten Ausbrüche der Freude beinahe beschwichtigt
waren, dachte man auf Mittel, den jungen Mann gemächlich bei der Kranken
einzuführen. Der Vater übernahm es, die Zusammenkunft vorzubereiten: Die
ersten Augenblicke waren gänzlich der Liebe und Freundschaft geweiht; und der
junge Mann entriss sich nur den Armen seiner jungen Gattin, um in die Arme des
Derwisches zu fliegen, welcher in diesem Augenblick aus der Moschee zurückkam,
und in die des Emirs, welcher Ali Dschoharis Haus nicht verlassen hatte.

Er übergab diesem Gelehrten das köstliche Vogelkraut,
welcher alsbald daraus einen heilsamen Trank bereitete. Aber als er ihn
darbrachte, weigerte sich die junge Frau, ihn einzunehmen, mit den Worten, dass
schon die Ankunft ihres Gatten sie geheilt hätte; und dieser musste seine
Bitten und Liebkosungen mit den ernsthaften Ermahnungen des Emirs vereinigen, um
sie zu bewegen.

Sobald die Kranke die dritte Schale von diesem Trank
geleert hatte, richtete sie sich auf von ihrem Lager, um Gott für ihre
schleunige Genesung Dank zu sagen. Sie bat hierauf ihren Gatten, der ganzen
Familie seine Abenteuer zu erzählen, „damit ich,“ sagte sie,
„das Vergnügen habe, aus Deinem Mund die Mühseligkeiten zu vernehmen,
welchen Du für diejenige getrotzt hast, die fortan nicht mehr ohne Dich leben
will.“

Der junge Reisende begann nun auf bescheidene Weise den
zusammengedrängten Bericht seiner Abenteuer, und der Derwisch fügte alle die
Taten hinzu, welche er nicht zu erzählen gewagt hatte.

Diese wunderbare Geschichte war lange Zeit der Gegenstand
der Unterhaltung für alle Müßigen der Stadt Damaskus.

Ali Dschohari feierte die unverhoffte Heimkehr seines
Sohnes durch prächtige Feste. Alle Neugierigen fragten ihn nach der Geschichte
seiner Reisen, und wenn er den Mund auftat, so kam sein Nachbar ihm – er wollte
wohl oder übel – zuvor und diente ihm zum Ausleger.

Als mit dem Ende der Feste auch die überlästigen
Neugierigen verschwunden waren, fing die Familie wieder ihre alte Lebensweise
an, und der Derwisch vermehrte die Zahl ihrer glücklichen Mitglieder.

Dieses Glück wurde indessen durch den Tod Ali Dschoharis
und seiner Gattin getrübt; es konnte nicht fehlen, dass die heftigen Leiden und
die nicht minder lebhafte Freude, welche sie abwechselnd erfahren hatten, in
einem Alter, wo die wankende Gesundheit dem ersten Anfall erliegt, ihr Ende
beschleunigten; aber sie hatten den Trost, im Schoß der sie herzlich liebenden
Ihrigen zu sterben: Ihre brechenden Augen ruhten auf ihren Kindern und
Freunden.“

Der Sultan ermangelte nicht, Scheherasade das Vergnügen
zu bezeigen, welches ihre Erzählungen ihm gewährten. Die Fürstin begann
hierauf folgendermaßen die Geschichte des Kalifen von Bagdad: