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673. Nacht

Die Königin umarmte fest den Leichnam der Unglücklichen.
Man hatte viel Mühe, sie davon zu trennen, und ihre Frauen trugen sie
ohnmächtig nach ihrem Zimmer.

Der König aber, in Wut, befahl dem Hauptmann seiner
Leibwache, mir den Kopf abzuhauen. Dieser schickte sich an, diesen Befehl zu
vollziehen, und ich erwartete ihn mit zuversichtlicher Miene, als der Wesir ihm
ein Zeichen gab, innezuhalten.

„Herr,“ rief er aus, indem er sich dem Sultan zu
Füßen warf, „geruht zu bedenken, dass diese Fremde die unschuldige
Ursache dieses Unglücks ist: Wollt Ihr sie gegen die heiligen Rechte der
Gastfreundschaft verletzen?“

„Wohlan,“ sprach hierauf der König, „ich
schenke ihr das Leben und die Freiheit; aber sie hüte sich wohl, wieder an
meinem Hof zu erscheinen.“

Der Wesir ließ mir drei Pferde und zwei Sklaven geben
samt allen für eine lange Reise nötigen Vorräten. Ich machte mich sogleich
auf den Weg nach Bagdad.

Von Schmerz durchdrungen, reiste ich traurig dahin, bis
der Tag ein Ende nahm. Als die Sonne untergegangen war und nach einem sehr
leichten Mahl streckte ich mich auf den Rasen hin, um so die Nacht zuzubringen.
Mein Kopf ruhte am Fuß eines Baumes, und ich hielt den Zügel meines Rosses in
der Hand. Meine Sklaven schliefen in meiner Nähe.

Mit Tagesanbruch fühlte ich mich so stark geschüttelt,
dass ich erwachte. Indem ich die Augen öffnete, sah ich mich von einer
Räuberschar umringt, welche mir den Zügel meines Pferdes aus der Hand rissen.
Die einen hatten meine neben mir in den Boden gesteckte Lanze sowie meinen
Säbel und mein Reisebündel ergriffen. Die andern waren beschäftigt, meine
Sklaven zu binden, die sich fruchtlos dagegen wehrten. Der Anführer, der mich
für schwach und untauglich hielt, die Anstrengungen der Reise zu ertragen, zog
seinen Säbel, um mir den Kopf abzuhauen. Aber einer der Räuber machte ihm
bemerkbar, dass man bei meiner vorteilhaften Bildung noch etwas für mich lösen
könnte: Denn die Kaufleute von Halep kauften gern solche junge und schöne
Sklaven. Diese Aussicht hielt den Arm des Mörders auf, und ich verdankte meine
Rettung nicht seiner Menschlichkeit, sondern seiner Habgier.

Diese Räuber waren Kurden, die vom Gewinn ihrer
Räubereien und ihrer Herden lebten. Sie führten mich in ihre weitläufigen
Gebirge, in welche hierauf die Kaufleute von Halep kamen, um Hammel zu kaufen.
Die Räuber, die mich gefangen hatten, gaben mich diesen Kaufleuten für den
Preis von drei Hammeln hin und glaubten einen guten Handel gemacht zu haben.

Ich schätze mich jedoch sehr glücklich, aus den Händen
dieser elenden Kurden befreit zu sein, welche sämtlich Götzendiener sind:
Einige verehren die Sonne, den Mond und die Sterne. Andere beten Bildsäulen,
Weiber oder den Teufel an. Sie verehren Bildsäulen zum Gedächtnis von Lots
Weib, welche in eine Salzsäule verwandelt wurde. Ihr könnt Euch also
vorstellen, Herr, welche Qual es für eine rechtgläubige Muselmännin sein
musste, mitten unter diesen Kindern der Finsternis zu leben, die unser großer
Prophet verdammt hat.

Der Kaufmann, dem ich zuteil geworden war, führte mich
auf den Basar, und bald wurde ich für einen sehr hohen Preis verkauft. Der mich
dort kaufte, ist es nun, der mich euer Majestät zugeführt hat. Während der
ganzen Reise hatte dieser Mann die größte Sorgfalt für mich wie für sein
eigenes Kind. Ich hatte ihm meine Abenteuer erzählt, und sie hatten einen
tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Weil er die Wohltätigkeit und Großmut Euer
Majestät kannte, hat er die Reise nach Indien unternommen und mich an Euren Hof
geführt.“