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669. Nacht

„Die Hälfte meiner Krone,“ rief der König aus,
„und ich würde ihn dadurch noch nicht hinlänglich belohnt finden. Er
könnte sogar meine Tochter heiraten, wenn diese darein willigte, ihm ihre Hand
zu geben.“

„Aber,“ fuhr die Prinzessin fort, „wenn Ihr
diese teure Tochter säht, würdet Ihr sie denn wieder erkennen?“

Zugleich nahm sie ihren Turban ab, und ihre schönen
schwarzen Haare fielen in Locken auf ihre Schultern – der Monarch schloss sie in
seine Arme und drückte sie zärtlich an seine Brust, indem er mit gebrochener
Stimme ausrief: „Meine Tochter! Es ist meine teure Tochter, die ich
umarme!“

Die Königin, welche sich in einem kleinen Gemach mit
Glasfenstern befand, aus welchem sie alles sah, was bei dem Fest vorging, konnte
ihre Entzückung nicht mehr mäßigen. Sie stürzte heraus, mitten durch die
Herren und auf ihren Gatten und ihre Tochter: Alle drei waren einige Augenblicke
hindurch ihrer Sinne beraubt, aber ihre Freude wurde nach und nach ruhige, und
sie überhäuften sich gegenseitig mit den zärtlichsten Liebkosungen.

„Ihr erkennt also Eure Tochter?“, sagte die
junge Prinzessin.

„Ich habe sie neun Monate in meinem Schoße
getragen,“ antwortete die Königin, „ich habe sie gesäugt: bedurfte
ich der Augen? Niemals irrt sich eine Mutter in ihrem Blut.“

„Unsere ersten Entzückungen gehörten der
Natur,“ sagte die Prinzessin, „aber auch die Dankbarkeit hat Rechte an
unser Herz. Hier ist mein Befreier.“

Hierauf erzählte sie alle ihre Abenteuer, welche bald von
Munde zu Munde gingen. Die Freude verbreitete sich im Palast und in der ganzen
Stadt, und man stellte große Feste an, um dieses glückliche Ereignis zu
feiern.

Der König sagte zu seiner Tochter: „Dein
Reisegefährte verdient Deine Erkenntlichkeit und eine seiner würdige
Belohnung: Wenn ihr beide darein willigt, werde ich Euch also verbinden.“
Das war es eben, was meine Gefährtin wünschte, denn sie hatte sich
leidenschaftlich in mich verleibt.

Urteilt, Herr, wie groß meine Verlegenheit war, als ich
diesen Vorschlag hörte. Ich wusste nicht, welchen Entschluss ich fassen sollte.
Sollte ich auf der Stelle abreisen oder mein Geschlecht entdecken? Das erste war
gefährlich, das zweite konnte meine Tugend zweifelhaft erscheinen lassen. In
dieser Ungewissheit verlangte ich einige Tage Bedenkzeit.

Der König bewilligte mir neun. Aber schon am folgenden
Tag sah ich den Kadi bei mir eintreten, der mir den Heiratsvertrag brachte. Die
Prinzessin drängte so sehr, dass ich sogleich in die Moschee musste, woselbst
die Trauung mit vielem Gepränge vor sich ging. Die Prinzessin erwartete mich
mit Ungeduld, sie war auf dem Gipfel ihrer Wünsche. Was mich betraf, so wusste
ich nicht, was aus mir werden sollte. Es fehlte viel daran, dass ich Teil an der
öffentlichen Freude nahm. Man schrieb diese Traurigkeit meinem von Natur
trübsinnigen Gemüt zu, welches sich bei dieser wichtigen Gelegenheit mehr als
gewöhnlich zu erkennen gab.

Nach dem herkömmlichen Gebrauch essen die beiden Eheleute
an ihrem Hochzeitstag miteinander zu Abend, um Bekanntschaft zu machen. Aber da
wir beide, die Prinzessin und ich, uns lange kannten, so wollten ihre Eltern mit
uns essen. Nach der Mahlzeit führten sie uns in die Hochzeitskammer. Die
Königin entfernte sich, die Sklaven folgten ihr, und wir blieben allein. Meine
Frau hatte sich schon niedergelegt, und ich dachte noch nicht daran, mich zu
entkleiden. Ich musste jedoch ihren Bitten nachgeben. Ich löschte alle Lichter
aus, ehe ich meine letzten Kleidungsstücke ablegte, und ich behielt noch so
viel an, als nötig war, um ich mein Geschlecht zu verbergen.