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666. Nacht

Ich war sehr erstaunt, weder Frau noch Kind zu finden.
Meine Schwägerin kam meinen Fragen zuvor, indem sie mit Tränen in den Augen zu
mir sagte:

„Ihr wisst, dass während Eurer Abwesenheit die Pest
geherrscht hat. Wir haben beide, Ihr und ich, das Teuerste was wir besaßen,
verloren: Dies Land ist mir ein Gräuel geworden, es ist mir unmöglich, länger
hier zu verweilen. Eine große Zerstreuung allein vermag meinen Schmerz zu
lindern, denn wenn ich hier bliebe, müsste ich vor Kummer vergehen.“

Meine Ermahnungen und Bitten waren nicht imstande, sie
zurückzuhalten. Ich gab ihr einen Teil von dem Vermögen ihrer unglücklichen
Schwester, und sie reiste ab. Sie hat nie wieder etwas von sich hören lassen,
und ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.“

„Ich kann Euch versichern,“ rief ich aus,
„dass sie nicht weit von hier ist. Wenn sie aber wiederkommt, so habt Ihr
hier eine Münze von Ismael, womit Ihr sie verwandeln könnt, in was für ein
Tier Ihr wollt.“

Die junge Frau dankte mir, indem sie mir die Münze
zurückgab. „Ich fühle mich unfähig,“ sagte sie, „meiner
Schwester so viel Böses zuzufügen. Ich kenne die Rache nicht, sie kommt nur
Gott zu.“

Fortsetzung
der Geschichte der Prinzessin Ameny

Inzwischen neigte sich der Tag, und wir bemerkten gegen
unsern Wirt, dass der Augenblick der Abreise herannahte. „Meine
Freunde,“ sagte er zu uns, „konnte ich, als ich Euch versprach, Euch
heute abreisen zu lassen, die große Verpflichtung voraussehen, welche ihr mir
auferlegen würdet? Welches Vergnügen könnten wir in Eurer Abwesenheit bei den
Festen genießen, die ich wegen der glücklichen Befreiung meiner Frau und
meines Sohnes anzustellen gedenke? Schlagt mir diese Gefälligkeit als Lohn der
gegen Euch erfüllten Pflichten nicht ab, weil Ihr doch einmal die Güte habt,
sie mir anzurechnen.“

Die Frau fing an zu weinen, indem sie uns die Hand
reichte, um uns zum Bleiben zu nötigen. Das Kind umarmte uns und klammerte sich
an unsere Knie. Meine Gefährtin war sehr missvergnügt, dass sie abreisen
sollte; aber sie fühlte zu gleicher Zeit, welche grausame Unruhe ihre
Abwesenheit ihren Verwandten verursachte. Wir beschlossen, noch einen Tag bei
unsern Wirten zu bleiben, und er wurde der Freude und Ergötzlichkeit gewidmet.

Am zweiten Tag darauf reisten wir ab, ehe die junge Frau
aufgestanden war. Ihr Gatte begleitete uns sehr weit, und unsere Trennung
verursachte viele Tränen.

Wir machten uns auf den Weg nach Hamah. Je näher wir
dieser Stadt kamen, je zufriedener und vergnügter schien die Prinzessin. Es
fehlte viel, dass ich als Fremde und entschlossen, mein Geschlecht nicht zu
entdecken, ebensoviel Grund zur Freude hatte.

Erstaunt, dass ich ihre Entzückungen nicht teilte, fragte
sie mich oft, welches Land mein Vaterland wäre, ob meine Eltern noch lebten,
und versicherte mich, um mich zu trösten, dass der König, mein Vater, sie
holen lassen würde, damit sie am Hof blieben. „Ihr werdet diesen Hof nicht
mehr verlassen, mein Freund,“ sagte sie zu mir, „denn Eure Abwesenheit
würde meinen Tod zur Folge haben. O wie sehr werden der König und die Königin
Euch lieben, wenn sie erfahren, dass Ihr mir die Ehre und das Leben gerettet
habt!“

„Prinzessin,“ sagte ich zu ihr, „noch kann
ich Eure liebenswürdigen Anerbietungen weder annehmen, noch ausschlagen: Ich
übergebe mich dem Willen Gottes. Ihm kommt es zu, über mein Schicksal zu
entscheiden.“

Nach einer langen und beschwerlichen Reise kamen wir an
den Ufern des Flusses Hassy nicht weit von Hamah an. Wir sahen daselbst viele
Zelte und ansehnliches Jagdgeräte. Plötzlich redeten uns fünf trefflich
berittene Männer an und fragten uns, woher wir kämen, und wohin wir wollten.
Nachdem wir ihnen eine Antwort gegeben hatten, die ihnen genügte, fragte meine
Gefährtin sie nach Neuigkeiten des Landes, welches, nach den auf allen Seiten
zerstreuten Zelten zu urteilen, den Schrecknissen des Krieges hingegeben war.

Diese Reiter erzählten uns, dass dasjenige, was wir
sähen, das Gerät des Königs von Hamah wäre. „Dieser Fürst,“
sagten sie uns, „sucht, da er seine Tochter, die ein elender Sklave frech
entführte, verloren hat, seinen Schmerz durch Jagen zu zerstreuen; und wenn ihr
in dem Lauf Eurer Reise einige Nachrichten von dieser Prinzessin erhaltne
hättet, die Ihr Seiner Majestät mitteilen könntet, so würdet ihr sehr wohl
empfangen werden.“

Meine Gefährtin ließ mir nicht Zeit, zu antworten.
„Wir haben dem König nichts Bemerkenswertes mitzuteilen,“ sagte sie,
„aber wir sind sehr ermüdet von einer sehr langen Reise, und wir empfehlen
uns Eurer Wohltätigkeit: übt Gastfreundschaft an unglücklichen
Reisenden!“

Der Anführer dieses Trupps, dem unser aussehen nicht
missfiel, erwiderte uns: „Ihr sollt bei mir nicht nur diejenige
Gastfreundschaft finden, die man Fremden schuldig ist, sondern ich will Euch
auch dem König vorstellen, der entzückt sein wird, Eure Abenteuer zu
vernehmen. Diese Erzählung wird sein Schmerz vielleicht lindern. Kommt mit mir,
ich bitte Euch.“