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664. Nacht

Es fehlte viel daran, dass die Angelegenheiten meiner
Schwester in ebenso günstigem Zustand waren. Nachdem sie Persien durchzogen
hatte, ohne ihr Vermögen sehr vermehrt zu haben, wollte sie sehen, ob die
Tatarei ihr nicht günstiger sein würde. Bochara, der Stapelplatz dieser beiden
Länder, war der Ort, an welchem die größten Kaufleute Asiens zusammenkamen.
Meine Schwester wollte diese berühmte Stadt kennen lernen: Aber sie kam ohne
Gepäck hin; denn dieses war ihr von Indern genommen worden, während sie
längs des Gebirges von Kandahar reiste. Nur die Schnelligkeit ihres Pferdes
hatte sie und einige Goldstücke und Edelsteine, welche sie bei sich trug,
gerettet.

Die ersten Tage ihrer Ankunft waren dazu bestimmt, die
Basare und die Karawansereien zu besuchen. Als sie so auf der Straße
einherging, redete eine Alte sie an, die zu ihr sagte:

„Guter junger Mann, Ihr habt eine Haltung, die sich
mit Eurem Alter und Eurem Gesicht nicht verträgt. Ihr scheint sehr beunruhigt:
Darf man die Ursache wissen?“

„Ach,“ sagte meine Schwester, „Wie sollte
ein Fremder, dem man alles, was er besaß, genommen hat, und der niemand in
dieser Stadt kennt, nicht beunruhigt sein? Ohne Freunde, ohne Verwandte, ohne
Geld, was soll aus mir werden?“ Indem sie dies sagte, rannen Tränen aus
ihren Augen.

„Mein Kind, Euer Schicksal ist mitleidswert,“
sagte die Alte zu ihr, „kommt mit mir, Ihr sollt einen sichern Zufluchtsort
finden.“

Nach einigen Tagen wollte meine Schwester fortgehen, aber
ihre Wirtin hielt sie durch die dringendsten Aufforderungen zurück und sagte zu
ihr, als sie nicht nachgeben wollte: „Ihr fürchtet ohne Zweifel, verraten
zu werden: Aber wisst, dass ich euer Geheimnis schon bei unserer ersten
Zusammenkunft erraten und doch davon weder mit Euch noch mit sonst jemand
gesprochen habe. Unsere Kenntnis macht uns verschwiegen. Wenn ich euch für eine
Person von dem Geschlecht gehalten hätte, dessen Kleidung Ihr tragt, würde es
klug gewesen sein, Euch Gastfreundschaft zu erweisen?“

Diese Alte lebte mit ihrer zwölfjährigen Enkelin, welche
sie erzog. Die Wahrheit war nun nicht länger zu verhehlen. Die Erzählung
meiner Schwester von ihren Reisen flößten ihrer Wirtin viel Achtung vor ihrem
Geist und Mut ein.

„Ich kann euer Vertrauen durch nichts als durch ein
nicht minder wichtiges vergelten. „isst, dass ich eine Zauberin bin: Ich
will Euch, wenn Ihr es wünscht, in allen bewundernswürdigen Geheimnissen
meiner Kunst unterrichten.“