Project Description

66. Nacht

Dinarsade, die nicht weniger lebhaft, als Schachriar, zu
erfahren wünschte, welche Wunder der Schlüssel zur hundertsten Türe
verschließen könnte, weckte die Sultanin sehr früh, und bat sie, die
erstaunliche Geschichte des dritten Kalenders zu beenden. „Er setzte
sie,“ sagte Scheherasade, „auf folgende Weise fort:“

„Der vierzigste Tag seit der Abreise der reizenden
Prinzessinnen war nun da. Wenn ich an diesem Tage die Selbstbeherrschung hatte,
die ich haben sollte, so wäre ich heute der glücklichste aller Menschen, statt
dass ich nun der unglücklichste bin. Die Damen sollten am folgenden Tage
ankommen, und die Freude, sie wieder zu sehen, sollte meiner Neugier Zügel
anlegen; aber aus einer Schwäche, die ich mir niemals werde verzeihen können,
unterlag ich der Versuchung des Bösen, der mir keine Ruhe ließ, bis ich mich
selbst dem Kummer überliefert hatte, den ich erlitt.

Ich öffnete die verhängnisvolle Türe, die ich
versprochen hatte, nicht zu öffnen. Kaum hatte ich den Fuß über die Schwelle
gesetzt, als ein sehr angenehmer, aber meiner Natur widerwärtiger Geruch mich
ohnmächtig hinsinken ließ. Ich kam jedoch wieder zu mir, und statt diese
Warnung zu benutzen, die Türe zu verschließen und auf immer die Luft zur
Befriedigung meiner Neugier zu verlieren, trat ich ein. Nachdem ich einige Zeit
lang gewartet hatte, bis dieser Geruch durch die frische Luft gemäßigt wurde,
machte er mir keine Beschwerden mehr.

Ich fand einen weiteren, wohl gewölbten Raum, dessen
Pflaster mit Safran bestreut war. Mehrere Leuchter von massiven Gold mit
angezündeten Kerzen, die den Geruch von Aloe und grauem Ambra verbreiteten,
dienten zur Beleuchtung, welche durch goldene und silberne Lampen noch vermehrt
wurde, die mit einem aus verschiedenen Arten von Wohlgerüchen bereiteten öl
angefüllt waren. Unter einer großen Menge von Gegenständen, die meine
Aufmerksamkeit auf sich zogen, erblickte ich ein schwarzes Pferd, das schönste
und wohl gebauteste von der Welt. Ich näherte mich ihm, um es genau zu
betrachten; ich sah, dass es einen Sattel und einen Zaum aus massivem Gold und
trefflicher Arbeit hatte, dass seine Krippe auf der einen Seite mit geschältem
Gras und mit Sesam18), und auf der anderen mit Rosenwasser angefüllt war. Ich
nahm es beim Zügel und führte es heraus, um es beim Tageslicht zu betrachten.
Ich setzte mich darauf und wollte vorwärts reiten; aber da es sich nicht vom
Fleck rührte, schlug ich es mit einer Gerte, die ich in seinem prächtigen
Stall gefunden hatte. Kaum fühlte es den Schlag, als es mit schrecklichem
Getöse zu wiehern begann, hierauf seine Flügel ausbreitete, die ich vorher
nicht bemerkt hatte, und sich zu unabsehbarer Höhe in die Luft erhob. Ich
dachte nur daran, fest zu sitzen, und ungeachtet des Schreckens, das mich
befiel, saß ich nicht übel. Es nahm hierauf seinen Flug wieder gegen die Erde,
flog auf das Terrassendach eines Schlosses, woselbst es mich, ohne dass es mir
die Zeit gönnte, den Fuß auf die Erde zu setzen, so heftig schüttelte, dass
ich hinten herab fiel, und mir sodann mit der Spitze seines Schweifes das rechte
Auge ausschlug.

So wurde ich einäugig. Nun erinnerte ich mich wohl an
das, was mir die zehn jungen Herren prophezeit hatten. Das Pferd flog davon. Ich
stand auf, sehr betrübt über das Unglück, welches ich mir selbst zugezogen
hatte. Ich stieg von der Terrasse, die Hand auf meinem Auge, welches mich sehr
schmerzte, herab und gelangte in einen Saal, der mich durch zehn in einen Kreis
gestellte Sofas und ein anderes höheres in der Mitte erkennen ließ, dass
dieses Schloss dasselbe war, aus welchem mich der Roch davongetragen hatte.

Die zehn einäugigen jungen Herren waren nicht im Saal.
Ich erwartete sie dort, und sie kamen kurze Zeit nachher mit dem Greise. Sie
schienen weder über meine Wiederkehr, noch über den Verlust meines Auges
erstaunt. „Es tut uns sehr leid,“ sagten sie zu mir, „euch nicht
auf solche Weise über eure Rückkehr Glück wünschen zu können, wie es uns
lieb wäre, aber wir sind nicht an eurem Unglück Schuld.“ – „Ich
würde Unrecht haben, euch deshalb anzuklagen,“ erwiderte ich ihnen;
„ich habe mir es selbst zugezogen, und nur ich habe gefehlt.“ –
„Wenn es der Trost der Unglücklichen ist,“ versetzten sie,
„ihres Gleichen zu haben; so kann ihn unser Beispiel euch gewähren. Alles,
was euch begegnet ist, ist auch uns begegnet. Wir haben ein ganzes Jahr lang
alle Arten von Vergnügungen genossen, und würden sie noch genießen, wenn wir
nicht während der Abwesenheit der Prinzessinnen die goldene Tür geöffnet
hätten. Ihr seid nicht klüger gewesen, als wir, und habt dieselbe Strafe
erlitten. Wir möchten euch gern unter uns aufnehmen, damit ihr an unserer
Buße, deren Dauer wir nicht wissen, Teil nehmen könntet; aber wir haben euch
schon die Ursachen mitgeteilt, die uns daran verhindern. Deshalb verlasst uns,
geht an den Hof von Bagdad, dort werdet ihr denjenigen finden, der über euer
Schicksal entscheiden wird.“

Sie belehrten mich über den Weg, den ich zu nehmen hätte, und ich trennte mich
von ihnen. Ich ließ mir unterwegs den Bart und die Augenbrauen scheren und
kleidete mich als Kalender. Seit langer Zeit bin ich auf dem Wege. Endlich bin
ich nun heute beim Eintritt der Nacht in diese Stadt gekommen. Ich habe am Tor
diese Kalender, meine Mitbrüder gefunden, die hier eben so fremd sind, als ich.
Wir sind alle drei sehr erstaunt gewesen, uns auf demselben Auge blind zu sehen.
Wir bauen jedoch keine Zeit, uns über dieses gemeinsame Unglück zu
unterhalten. Uns blieb nur so viel, euch, verehrte Frau, um den Beistand
anzuflehen, den ihr uns so großmütig gewährt habt.“

Als der dritte Kalender seine Geschichte beendet hatte,
nahm Sobe