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643. Nacht

Auf dieser Reise traf der Kadi seinen Bruder, der, sein
gottloses Leben bereuend, auch in Derwischtracht zu der Heiligen reiste, um ihr
seine Sünden zu beichten und ihre Fürbitte beim Himmel anzuflehen. Die
Veränderung beider, Folge der Zeit und ihrer Verkleidung, bewirkte, dass sie
sich nicht erkannten. Sie knüpften ein Gespräch an, und als sie voneinander
erfuhren, dass sie desselben Weges gingen, so beschlossen sie, ihre Reise
gemeinschaftlich fortzusetzen. Nach einigen Tagen begegneten sie einem
Kameltreiber, der, wie er ihnen sagte, den gleichen Weg und Zweck verfolgte,
weil er ein schreckliches Verbrechen begangen hätte, dessen Erinnerung sein
Gewissen quälte und sein Leben elend machte, weshalb er seine Sünden der
Heiligen beichten und von ihr sich eine Buße zur Sühnung seiner von Herzen
bereuten Missetat auferlegen lassen wollte, wo er sodann die Vergebung des
Himmels durch eine aufrichtige Lebensbesserung zu erhalten hoffte. Das
Verbrechen dieses Elenden war nichts weniger als ein Mord, dessen Umstände
nicht an ihrer eigentlichen Stelle erzählt worden sind. Des Kadis Frau hatte
nämlich unmittelbar nach ihrer Vertreibung aus Bagdad und ehe sie dem jungen
Mann begegnete, der sie nachmals als Sklavin verkaufte, in der Hütte eines
Kameltreibers eine Zuflucht gesucht, und die Frau desselben, die ihr sehr
verpflichtet war, hatte sie mit wahrer Gastfreundschaft und Güte aufgenommen,
sie in ihrem Unglück getröstet, ihrer Wunden gepflegt und sie genötigt, so
lange zu verweilen, bis sie sich von den Folgen ihrer ungerechten und
schmachvollen Bestrafung gänzlich erholt hätte, mit welcher Bitte auch der
Mann die seinige vereinigte. Bei diesem ehrlichen Paare, welches einen kleinen
Sohn hatte, blieb sie nun einige Zeit und erlangte ihre Gesundheit und
Schönheit wieder, als der gottlose oben erwähnte Kameltreiber ihren Wirt
besuchte und, von ihrer Schönheit bezaubert, ihr ungebührliche Anträge
machte, welche sie mild, aber entschieden zurückwies und ihm sagte, dass sie
verheiratet wäre. Von Leidenschaft verblendet, beharrte der Elende auf seinen
Zumutungen, aber vergebens, bis sich endlich, durch Widerstand gereizt, seine
Liebe in Wut verwandelte und er seine unbefriedigte Lust durch ihren Tod zu
rächen beschloss. Er bewaffnete sich demnach mit einem Dolch und stahl sich um
Mitternacht, als alles im Schlafe lag, in die Kammer, in welcher sie und, dicht
neben ihr, das kleine Kind ihres großmütigen Wirtes lag. Da der Mörder in der
Finsternis aufs Geradewohl zustieß und nicht wusste, dass der Knabe neben der
Frau lag, so traf der Dolch die Brust des Kindes, welches laut aufschrie, worauf
der Bösewicht, der entdeckt zu werden fürchtete, aus dem Haus entfloh. Die
Frau des Kadis erwachte voll Schrecken und weckte durch ihr Geschrei ihre
unglücklichen Wirtsleute, welche, nachdem sie Licht gemacht, zu ihrer Hilfe
herbei eilten, aber nun mit Schaudern ihr sterbendes Kind und, in seinem Blut
gebadet, ihre ohnmächtig gewordene Gästin sahen. Die unglückliche Frau kam
bald wieder zu sich; aber ihr kleiner Liebling war und blieb tot. Einige Tage
nach diesem tragischen Vorfall begann sie ihre Pilgerschaft und kam in die
Stadt, in welcher sie, wie schon erzählt ist, den jungen Mann von seinen
grausamen Gläubigern befreite und bald nachher von ihm als Sklavin verkauft
wurde. Doch wir wollen zu dem Kadi und seinen gottlosen Begleitern
zurückkehren.

Sie waren noch nicht weit miteinander gereist, als sie
einen jungen Mann trafen, der sie grüßte und befragte, wohin sie gingen. Als
sie ihm das gesagt hatten, bat er sie, ihm zu vergönnen, dass er mit ihnen
reiste, da auch er zu der Heiligen wollte, durch deren Fürbitte bei Gott er
Vergebung für eine höchst undankbare Tat hoffte, welche er, seit er sie
begangen, zu bereuen nicht aufhörte. die vier Pilger setzten ihre Reise fort
und trafen nach einigen Tagen einen Schiffspatron, der ihnen erzählte, er
hätte vor einiger Zeit Schiffbruch und seitdem nichts als Missgeschick
erlitten, und er wollte nun zu der weltberühmten Frau gehen, deren Almosen und
Gebete in allen Ländern gepriesen würden. Die Gefährten forderten ihn nun
auf, sich mit ihnen zu vereinigen, und so zogen sie denn gemeinschaftlich
weiter, bis sie am Hof des guten Sultans, der die Frau des Kadis in seinen
Schutz genommen hatte, glücklich anlangten.