Project Description

631. Nacht

Geschichte
der Alifa, Tochter des Myrdschyhan, Sultans von Hind, und des Jussuf, Sohnes des
Sohul, Sultans von Sind

„Myr-dschyhan (der Fürst der Welt), Sultan von Hind,
war zu einem hohen Alter gelangt, ohne Kinder zu bekommen. Oft dachte er mit
Betrübnis daran, dass sein Reich an eine andere Familie gelangen sollte. Als er
eines Abends diesem traurigen Gedanken nachhing und darüber entschlummerte,
weckte ihn eine Stimme, die da rief: „Sultan, steh auf! Besuche diese Nacht
Dein Weib, und sie wird empfangen. Wenn sie einen Sohn zur Welt bringt, so wird
er den Ruhm Deines Hauses mehren; kommt sie jedoch mit einer Tochter nieder, so
wird sie viel Kummer und Unglück verursachen.“ Der Sultan gehorchte dem
Befehl dieser Stimme, und zur rechten Zeit gebar die Sultanin eine Tochter zum
großen Leidwesen der Eltern, die das Kind gewiss umgebracht hätten, wenn sein
Lächeln ihre Wut nicht besänftigt hätte. Das Mädchen wurde in der größten
Heimlichkeit erzogen und, als es zwölf Jahre alt war, auf ein festes Schloss in
der Mitte eines tiefen Sees gebracht mit der Hoffnung, durch diese Einsperrung
die Erfüllung der sie betreffenden Weissagung zu verhindern. Nichts konnte die
Pracht ihres Aufenthaltes übertreffen, wo sie bloß von Frauen umgeben war und
kein Mann die Erlaubnis erhielt, auch nur bis an das Ufer des Sees zu kommen,
ausgenommen, wenn Vorräte für die schönen Bewohnerinnen anlangten, die sodann
in ihren Zimmern bleiben mussten. Die Bewachung des Schlosstores war einer alten
Frau, der Amme der Prinzessin, anvertraut.

Drei Jahre lebte die schöne Alifa in ihrem glänzenden
Gefängnisse glücklich: Aber die Vorherbestimmung des Geschicks war
unwiderruflich und machte die sorgfältige Vorsicht des Sultans Myr-dschyhan
zuschanden.