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627. Nacht

Als der Wesir nach glücklicher Fahrt in der Hauptstadt
des Sultans Schamich angelangt war, überreichte er die Geschenke und richtete
seinen Auftrag aus, worauf der Sultan erwiderte, Ins-al-Wudschud hätte sich zu
seinem großen Leidwesen schon seit einem Har von seinem Hof entfernt, und er
wüsste seitdem nichts von seinem Aufenthalt, würde aber seinem Wesir befehlen,
den Gesandten, dessen Herrn er sich, soviel er vermöchte, gern gefällig zeigen
wollte, zu geleiten, um ihn aufzusuchen. So reisten denn nach einigen Tagen die
beiden Wesire ab, ohne zu wissen, wohin sie sich wenden sollten. Endlich
erreichten sie die Küste des Meeres Kunnus, woselbst sie sich auf einem
gemieteten Fahrzeug einschifften und nach der gebirgigen Insel Tukkalla
segelten, von welcher der Wesir des Sultans Schamich seinem Gefährten folgenden
Bericht erstattete: „Diese Insel war einige Jahrhunderte früher von
Geistern bewohnt. Eine Geisterprinzessin verleibte sich heftig in einen schönen
jungen Mann, den Sohn eines Emirs von Kairo, welchen sie, über die Gräten
seines Vaters unsichtbar hinfliegend, erblickte, als er in der Hitze des Tages
schlief. Sie setzte sich neben ihn, und nachdem sie ihn sanft erweckt hatte und
er nicht wenig erstaunte, ein so schönes weibliches Wesen so zuvorkommend gegen
sich zu sehen, erwiderte er ihre Liebkosungen, und es fehlte nicht an
gegenseitigen Beteuerungen von Liebe und Treue. Nach einigen glücklich
verbrachten Stunden nahm die Prinzessin einen zärtlichen Abschied, versprach,
ihn wieder zu besuchen, und verschwand aus seinem Blick. Er blieb in Nachdenken
über sein glückliches Abenteuer versunken, bis der Nachttau zu fallen begann,
wo denn seien wegen seiner Gesundheit besorgten Eltern Sklaven absandten, um ihn
in den Palast zu holen. Aber er wollte nicht mit ihnen gehen und sprach, wie es
ihnen vorkam, so unzusammenhängend über seine Geliebte, dass sie glaubten, er
wäre närrisch geworden, und ihn mit Gewalt zum Heimgehen nötigten. Seien
Eltern waren beunruhigt, vergebens forderten sie ihn auf, etwas zu sich zu
nehmen, er war betrübt und finster und ging endlich in sein Zimmer, wo er die
ganze Nacht in rastloser Angst zubrachte und mit Ungeduld den Morgen erwartete,
um sich nur wieder nach dem glücklichen Ort begeben zu können, wohin seine
Geliebte wiederzukommen versprochen hatte.

Sobald der Morgen dämmerte, begab sich der Emirssohn in
den Garten und wurde alsbald durch den Anblick seiner Geliebten erfreut;
während sie sich aber wechselweise die zärtlichste Liebe versicherten,
erschien plötzlich die Mutter der Geisterprinzessin, welche aus dem Betragen
ihrer Tochter den Verdacht eines heimlichen Liebeshandels geschöpft hatte. auf
die Liebenden losstürzend, ergriff sie ihre Tochter bei den Haaren, schlug sie
und schalt sie in den härtesten Ausdrücken, dass sie die Ehre der Geister
durch die Liebe zu einem elenden Sterblichen geschadet hätte, worauf die
Prinzessin erwiderte, dass ihr Schelten vergeblich, ihre Liebe eine
unvertilgbare und beständige wäre und sie sich lieber in tausend Stücke
zerreißen lassen, als sich von dem Gegenstand ihrer Leidenschaft trennen
würde. Da nun die Mutter den Fall als einen verzweifelten erkannte und selbst
von der ungemeinen Schönheit des Jünglings gerührt wurde, der ihr zu Füßen
fiel und um Gnade für seine Geliebte flehte, so gab sie endlich nach und
willigte in ihre eheliche Verbindung. Sie wurde feierlich begangen und dies
Insel, nach dem Namen der Prinzessin Tukkalla genannt, wurde zu ihrem
Aufenthaltsort bestimmt. Noch steht ihr prächtiger Palast nach dem Verlauf
vieler Jahrhunderte und ist jetzt in meinem Besitz. Hier hoffe ich meine einzige
Tochter zu finden, die ich vor einem Jahr hierher brachte, um sie vor den
Nachstellungen eines jungen Mannes zu sichern, auf den sie gegen meinen Willen
ihre Neigung geworfen hatte.“