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626. Nacht

Ins-al-Wudschud nahm gern und willig eine solche
freundliche Einladung an und erblickte, als er in den Hof trat, einen hohen,
seine äste weit ausbreitenden Baum, an dem mehrere goldene Käfige hingen,
deren jeder einen schönen Vogel enthielt. diese Vögel wetteiferten
untereinander in melodischem Gesang und schienen den Eintretenden gleichsam
willkommen zu heißen. Er fragte seinen Wirt, wem das prächtige Gebäude
gehörte, und erheilt zur Antwort, dass es ein Besitztum des Wesirs Ibrahim
wäre, der seine Tochter, um sie vor dem Wechsel des Schicksals zu bewahren,
hätte hierher bringen lassen und sie jährlich nur einmal besuchte, um sich
nach ihrem Befinden zu erkundigen und sie mit dem nötigen Bedarf für sie und
ihre Begleitung zu versehen. Als Ins-al-Wudschud dies hörte, war er nahe daran,
in lautes Entzücken auszubrechen; Er hielt sich aber zurück und begnügte sich
damit, zu sich selbst zu sagen: „Endlich habe ich den Aufenthalt meiner
Geliebten erreicht und kann auf Erfüllung hoffen, welche mir bis jetzt noch so
fern lag.“ Seine reizende Schöne, die nichts weniger vermutete, als dass
ihr Liebster ihr so nahe wäre, und die dieses einsamen Aufenthalts längst
überdrüssig war, hatte aber diesen Abend beschlossen, aus ihrem Gefängnis zu
entfliehen. Sie ließ sich also in der Dunkelheit der Nacht aus dem Fenster
ihres Schlafgemachs an einem seidenen Strick herab, den sie aus zerschnittenen
Kleidern geflochten hatte, und erreichte glücklich und unversehrt den Erdboden.
Eilig floh sie zur Seeküste, wo sie ein Fischerboot sah, dessen Eigner sie zwar
in der ersten Bestürzung für einen Geist hielt, da sie von Schönheit und
Juwelen glänzte, endlich aber auf ihre Versicherungen, dass sie wirklich eine
Frau wäre, sie in sein Fahrzeug aufnahm. Sie dankte ihm für seine Güte, die
sie ihm durch manchen kostbaren Edelstein lohnte, und bat ihn, sie über den See
zu fahren. Der Fischer spannte seine Segel auf, und der Wind war eine Zeitlang
günstig; aber auf einmal erhob sich ein heftiger Sturm, der sie drei Tage lang
in großer Gefahr hin und her und weit von ihrem Weg abtrieb. Endlich legte sich
der Sturm, die See beruhigte sich, und es war Land zu sehen. Als sie sich der
Küste näherten, erblickten sie eine ansehnliche Stadt, deren Gebäude
ungewöhnlich prächtig erschienen. Sie gingen unter der Terrasse, die zu dem
Palast des Sultans gehörte, vor Anker. Zufällig saß dieser, welcher Sultan
Dara hieß, mit seiner Tochter auf einem Balkon, um der frischen Luft und des
Anblicks des weiten, mit Schiffen aus allen Gegenden der Erde angefüllten
Hafens zu genießen. Als er das Boot erblickte, gab er Befehl, dass man dessen
Herrn und seine Mannschaft vor ihn bringen sollte. Sein Erstaunen bei dem
Anblick der schönen Wird-al-Ikmam war nicht gering. Aus ihrem reichen Anzug,
ihrem würdigen Anstand und Betragen schloss er, dass sie von hohem Rang sein
müsste; und nachdem sie auf sein Ersuchen sich neben seine Tochter gesetzt
hatte, fragte er sie freundlich nach ihrem Vaterland und der Ursache ihrer Reise
in seine Hauptstadt, worauf sie ihm in beredter Kürze ihre Abenteuer erzählte.
Der Sultan tröstete sie durch Zusicherungen seines Schutzes, versprach ihr,
alle seine Macht anzuwenden, um sie mit ihrem Geleibten zu vereinigen, und
sandte sogleich seinen Wesir an den Sultan Schamich ab mit kostbaren Geschenken
und der Bitte, den Ins-al-Wudschud an seinen Hof zu senden.