Project Description

618. Nacht

Als es Nacht war, führte man den Prinzen auf eine vor dem
Palast gelegene Ebene, in deren Mitte sich ein großer, mit klarem Wasser
angefüllter Behälter befand, welchen der Sultan ihm bei Todesstrafe vor
Sonnenaufgang auszutrocknen befahl. Der Prinz blieb am Rand des Wasserbehälters
mit etwas mehr Hoffnung, seine Arbeit zu vollbringen, als in der vorigen Nacht,
Auch täuschte er sich nicht; denn um Mitternacht hörte er eine Stimme, welche
ausrief: „Prinz, Wohlwollen bleibt nie unbelohnt!“, und plötzlich
füllte sich die Ebene mit unzählbaren Elefanten, Nashörnern, Kamelen,
Dromedaren, Löwen, Tigern, und anderen wilden Tieren, welche, nach und nach
sich dem Behälter nähernd, so viel soffen, dass er so leer und trocken wurde,
als wäre er eben erst fertig geworden. Die Tiere entfernten sich nun, indem sie
über den ihrem Wohltäter geleisteten Dienst freudig brüllten und heulten, und
überließen ihn seiner Freude über dies glückliche Vollbringen.

Der Prinz, nun überzeugte als je, dass er der Liebling
Allahs und des Propheten sei, schlief nach beendetem Dankgebet sehr ruhig und
bequem in einem am Rand des Behälters stehenden Häuschen und wurde erst bei
Sonneaufgang von dem Ruf des Sultans erweckt, der über die Vollbringung dieser
Arbeit noch erstaunter als über die der vorigen war, obgleich jene ihr an
Schwierigkeit nichts nachgab. Er führte den Prinzen in seinen Palast, und der
Tag wurde in froher Festlichkeit zugebracht.

Beim Herannahen der Nacht wurde der Prinz zu seiner
dritten Arbeit geführt, welche darin bestand, aus einer ungeheueren Masse
ausgesuchten Bauholzes die Türen, Fenster und das Dach eines Palastes, so groß
als der vom Sultan bewohnte, anzufertigen. Der Prinz war über die Folgen des
Misslingens etwas beunruhigt, aber der Gedanke an die früheren ihm zuteil
gewordenen Hilfeleistungen ermutigte ihn, und nachdem er seine Andacht
verrichtet hatte, setzte er sich nieder und erwartete gefasst, was die Vorsehung
über ihn verfügt hätte. Seine Ergebung fand Gnade, denn um Mitternacht wurde
er aus seinen Betrachtungen durch die Töne des Sägens, Hobelns, Hämmerns,
Nagelns und der Gesänge fröhlicher Werkleute erweckt. Als er aufsah, erblickte
er seine Freunde aus den Eisengebirgen, die ihn begrüßten und ihm zuriefen:
„Prinz, beruhige Dich; denn wir sind gekommen, Dir Deine gastfreundliche
Bewirtung zu vergelten.“ Vor Tagesanbruch war der Palast in einer
unbeschreiblichen Vollendung fertig und jede Türe, jedes Fenster und jeder
Erker mit den glänzendesten Farben bemalt und mit Gold und Silber beblümt. Als
die dankbaren Geister der Eisenberge ihr Werk vollbracht hatten, grüßten sie
den Prinzen achtungsvoll und entfernten sich.

Als der Prinz von seinen hilfreichen Freunden dankbaren
Abschied genommen hatte, den Palast durchging und seine Pracht und Zierlichkeit
bewunderte, eilte der Sultan Emir-Ben-Naoman, der bei Sonnenaufgang aus seinen
Fenstern das wunderbar vollbrachte Werk geschaut hatte, herbei, um die
treffliche Arbeit in der Nähe zu besehen und seinem Schwiegersohn Glück zu
wünschen; denn er erkannte ihn als solchen, ja als den Günstling Allahs und
des letzten der Propheten an. Er führte den Prinzen in seinen Palast, und es
wurde darauf in dem neuen nach den nötigen Vorbereitungen die Hochzeit mit der
Tochter des Sultans auf das prächtigste und festlichste gefeiert. Dort blieben
die jungen Eheleute drei Monate hindurch, nach deren Ablauf der Prinz sich die
Erlaubnis erbat, in die Länder seines Vaters heimzukehren, woselbst er gerade
zur Zeit eintraf, um sie von dem Einfall eines feindlichen Sultans zu befreien,
der die Hauptstadt schon eng umschlossen hielt. Sein Vater empfing ihn mit
Entzücken, und nachdem der Prinz die Sultanin wegen seines früheren rohen
Benehmens um Entschuldigung gebeten hatte, so vergab sie ihm und nahm ihn, da
sie kinderlos war, an Sohnes Statt an, so dass die Familie bis zum Tod des
Sultans und der Sultanin und bis zur Thronbesteigung des Prinzen in der besten
Eintracht lebte.