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614. Nacht

Abenteuer
eines Hofmannes

In ägypten lebte einst ein reicher Emir, der in einer
schlaflosen Nacht nicht wusste, was für ein Mittel er anwenden sollte, um
die traurigen Gedanken, die ihn quälten, zu vertreiben. Endlich fiel ihm
ein, nach einem seiner Hofleute zu senden, der ein munterer Gesell war, und
er sagte zu ihm, als er gekommen: „Mein Busen ist diese Nacht, ich
weiß nicht, warum, ungewöhnlich unruhig, und ich wünsche, dass Du mir
irgend eine unterhaltende Geschichte erzählst.“ Der Hofmann sagte:
„Dein Wille ist mir Gesetz! Ich will Dir ein Abenteuer erzählen, das
ich in meiner Jugend erlebt habe.

Als ich noch ein ganz junger Mensch war, verliebte ich
mich sehr in ein arabisches, mit jedem Reiz und jeder Anmut geschmücktes
Mädchen, das bei seinen zu einem Stamm der Wüste gehörigen Verwandten
lebte. Eines Tages fühlte ich mein Gemüt in Beziehung auf sie sehr
beängstigt und beschloss, in einem Besuch Beruhigung zu suchen. Als ich
aber an den Ort ihres früheren Aufenthaltes kam, fand ich weder meine
Geleibte, noch sonst jemand von ihrer Verwandtschaft. Ich fragte einige
Reisende, die mich benachrichtigten, dass der Stamm sein Lager aus Mangel an
Futter für das Vieh abgebrochen hätte, um es anderswo wieder
aufzuschlagen.

Ich verweilte einige Zeit auf der Stätte; da ich aber
keine Zeichen ihrer Rückkehr gewahrte, wurde meine ungeduldige Sehnsucht
unerträglich und trieb mich an, meine Geliebte aufzusuchen. Obgleich der
Abend schon seine Schatten warf, so sattelte ich doch mein Kamel, gürtete
meinen Säbel um und ritt vorwärts. Die Nacht wurde immer dunkler, mein
Kamel strauchelte häufig, und das Geheul und Gebrüll der wilden Tiere
ertönte von allen Seiten. Mein Herz schlug voll Furcht, und meine Zunge
hörte nicht auf, zu dem Allmächtigen, unserem einzigen Beschützer in der
Zeit der Not, zu beten. Endlich fesselte der Schlaf meine überspannten
Sinne, und mein Tier kam von dem Weg ab, den ich verfolgen wollte.
Plötzlich wurde mein Kopf heftig von einem Baumzweig getroffen. Ich
erwachte und fühlte bedeutende Schmerzen. Als ich mich erholt hatte, sah
ich Bäume, mit Blumen gezierten Rasen und einen klaren Bach. Auch hörte
ich eine Menge von Vögeln, deren Töne auf das süßeste erklangen. Ich
stieg von meinem Kamel ab und legte den Zaum auf meinen Arm, da das
Gestrüpp des Dickichts fest verwachsen war.

Ich führte mein Kamel, bis ich aus dem Dickicht
heraus war, wo ich es dann wieder bestieg, ohne jedoch zu wissen, wohin ich
mich wenden und wohin die Vorsehung mich leiten würde. So erreichte ich die
Wüste und warf meine Blicke über den weiten Raum, in dessen Mitte ich
einen Rauch aufstiegen sah. Ich peitschte mein Kamel und gelangte endlich zu
einem Feuer, in dessen Nähe ich ein reich verziertes Zelt erblickte, vor
welchem eine Standarte stand, und welches von Speeren, an Pfähle gebundenen
Pferden und grasenden Kamelen umgeben war. Ich sagte zu mir selbst:
„Was bedeutet dieses so ansehnliche Zelt in einsamer Ebene?“ Ich
nahte mich dem Eingang desselben und rief aus: „Heil Euch, Ihr Bewohner
dieses Zeltes, der Allmächtige sei Euch gnädig!“

Es kam hierauf ein Jüngling heraus, der ungefähr
neunzehn Jahre alt zu sein schien: Er war anmutig wie der aufgehende Mond,
und Tapferkeit und Wohlwollen glänzten auf seinem Antlitz. Er erwiderte
meinen Gruß und saget: „Bruder Araber, vermutlich hast Du Deinen Weg
verloren.“ Ich versetzte: „Ja, zeig‘ ihn mir, und Gott möge Dich
dafür belohnen!“, worauf er erwiderte: „Meine Wohnung, Bruder
Araber, ist jetzt in dieser wilden Wüste; aber die Nacht ist furchtbar, und
solltest Du weiter reiten, so bist Du nicht sicher davor, dass Dich die
wilden Tiere in Stücke reißen. Bleib also bei mir in Sicherheit, ruhe Dich
aus, und sobald es tagt, werde ich Dich auf Deinen Weg geleiten.“ Ich
stieg ab, er nahm mein Kamel, band es fest und gab ihm Futter und Wasser.
Hierauf entfernte er sich auf eine Weile, kehrte aber bald mit einem Schaf
zurück, welches er schlachtete, ihm die Haut abzog, es zerschnitt, ein
Feuer anzündete und daran einen Teil des Schafes briet, das er mit allerlei
trockenen Kräutern und mit Spezereien würzte und mir dann vorsetzte.