Project Description

613. Nacht

Am Morgen begab sich Abu-Nyut mit seinen beladenen
Kamelen in den Palast, verfügte sich in den Hof des Diwans, wo der Sultan
ihn sitzend erwartete, dem er nun zurief: „Steig einen Augenblick
herab, o Herr, und prüfe das Heiratsgut der Prinzessin.“ Der Sultan
näherte sich den Kamelen, welche niederknieten, untersuchte die Körbe und
war über den Reichtum ihres Inhalts voll Erstaunen; denn die Juwelen
übertrafen an Glanz und Größe die seinigen so sehr, dass er ausrief:
„Beim Allah, wenn die Schätze aller Sultane in der ganzen Welt
zusammengebracht würden, so könnten sie nichts ähnliches aufweisen!“
Als er sich von seinem Erstaunen etwas erholt hatte, erkundigte er sich bei
seinen Wesiren, wie er sich nun gegen Abu-Nyut benehmen sollte, worauf sie
alle einstimmig ausriefen, er möchte ihm ja seine Tochter zur Frau geben.
Die Heirat wurde nun bald mit großem Glanz gefeiert, und Abu-Nyut benahm
sich in seinem neuen Rang so gut, dass sein Schwiegervater die öffentliche
Audienz zur letzten Entscheidung aller Rechtshändel, die er wöchentlich
drei Mal zu geben pflegte, ihm übertrug.

Als Abu-Nyut nun einige Zeit nach seiner Erhebung in
dem prächtigen Saal eines seiner Landhäuser Audienz gab, gewahrte er unter
der Menge einen Mann mit sorgenvoller Miene und in einem elenden Anzug,
welcher ausrief: „O ihr wahren Gläubigen, ihr mitleidigen Seelen,
helft dem Unglücklichen!“ Abu-Nyut befahl einem seiner Leibwächter,
den Bettler vor ihn zu führen; und als dies geschehen war, erkannte er in
ihm seinen verräterischen Gefährten, der ihn in dem Brunnen gelassen
hatte. Ohne sich ihm zu erkennen zu geben oder irgend eine andere innere
Bewegung als die des Mitleids merken zu lassen, befahl er, jenen in ein
warmes Bad zu führen. Nachdem er gebadet, wurde er in einen prächtigen
Anzug gekleidet und in den Diwan zurückgeführt. Abu-Nyut nahm ihn in ein
besonderes Gemach und sagte: „Kennst Du mich nicht, alter Freund?“
– „Nein, beim Allah!“, versetzte der andre. „Wisse
denn,“ entgegnete jener, „dass ich Abu-Nyut, Dein Wohltäter und
Gefährte bin, den Du verräterischerweise in dem Brunnen gelassen
hast.“ Er erzählte ihm hierauf alle seine Abenteuer und schloss mit
der Versicherung, dass er weit davon entfernt wäre, sich wegen seines
Verrates an ihm rächen zu wollen, und vielmehr seine Aufführung gegen ihn
als den Antrieb des Schicksals und als das Mittel betrachtete, durch welches
er seinen gegenwärtigen Rang und Reichtum erlangt hätte, den er mit ihm
teilen wollte. Das neidische Herz des Abu-Nyutin war jedoch unbezwinglich,
und anstatt dem edlen Abu-Nyut für seine Vergebung und seine Freigebigkeit
zu danken, rief er aus: „Da der Brunnen Dir so günstig war, warum
sollte er es mir nicht auch sein?“ Nachdem er dies gesagt hatte, stand
er eilig auf und verließ ohne weiteren Abschied den Abu-Nyut, der solche
Rohheit nicht bestrafen wollte.

Abu-Nyutin eilte so schnell als möglich zu dem
Brunnen, und nachdem er sich an einem Strick hinab gelassen hatte, setzte er
sich und erwartete mit Ungeduld die Ankunft der bösen Geister, die auch
wirklich um Mitternacht angeflogen kamen und, oben auf dem Rand des Brunnens
verweilend, sich nach ihren gegenseitigen Abenteuern befragten. „Seit
wir uns zum letzten Mal hier trafen,“ sagte der eine, „ist es mir
schlecht ergangen; denn ein listiger Muselmann hat das Geheimnis ausfindig
gemacht, mich auszutreiben, und hat meine Prinzessin geheiratet. Das
Schlimmste dabei ist, dass ich nicht imstande bin, mich zu rächen; denn er
ist unter dem Schutz eines bekehrten Geistes, den der Prophet zu seinem
Schutzgeist bestimmt hat.“ – „Ich,“ versetzte der andere,
„bin nicht minder übel dran als Du; denn derselbe Mann, der Deine
Geliebte geheiratet, hat auch meinen verborgenen Schatz ausgespäht und
behält ihn trotz allen meinen Bemühungen, ihn wiederzuerlangen. Aber lass
uns diesen abscheulichen Brunnen, der unstreitig die Ursache unserer
Unglücksfälle gewesen, zufüllen.“ Er hatte dies kaum geäußert, als
beide Geister die Einfassung und große Steine in den Brunnen warfen, welche
den undankbaren und neidischen Abu-Nyutin ganz zermalmten.

Da Abu-Nyut vergebnes die Wiederkehr des Abu-Nyutin
erwartete, so begab er sich zu dem Brunnen, und als er sah, dass dieser
verschüttet war, befahl er, ihn aufzugraben, wo ihn denn die Auffindung des
Leichnams bald überzeugte, dass die Bosheit des Elenden seine Zerstörung
veranlasst hatte. Er rief mit Ehrfurcht aus: „Nur bei dem Allmächtigen
ist Hilfe. Er bewahre uns vor dem Neid, der nur dem schadet, der ihn
hegt!“