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603. Nacht

Wir wenden uns nun wieder zu dem jüngsten Bruder. Als er
in den Teich geworfen wurde, erwachte er und rief, indem er sich in Gefahr sah,
aus: "Ich suche Rettung bei dem Gott, der seine Diener aus den Schlingen
der Gottlosen rettet!" Sein Gebet wurde erhört, und er erreichte
unverletzt den Boden des Teiches, wo er sich in eine Blende setzte und sprechen
hörte. Eine Stimme sagte zu der andern: "Es ist ein Menschensohn in der
Nähe!" – "Ja," erwiderte die andere, "er ist der jüngste
Sohn unseres tugendhaften Sultans, der, nachdem er seine Brüder entzaubert hat,
verräterischerweise in diesen Teich geworfen worden ist." –
"Nun," antwortete die erste Stimme, "er wird leicht gerettet
werden, denn er trägt einen Ring an seinem Finger, den er nur zu reiben
braucht, um einen Geist herbeizuzaubern, der alle seine Befehle vollziehen
muss."

Der Prinz hatte kaum diese Worte gehört, als er den Ring
mit der Hand rieb, worauf sogleich ein guter Geist erschien und zu ihm sagte:
"Prinz, was ist zu Deinem Befehl?"

"Ich befehle," versetzte der Prinz, "dass
Du mir sogleich Zelte, Kamele, Diener, Wachen und alles meinem Stand Angemessene
besorgst." – "Alles ist bereit," antwortete der Geist, der ihn
zugleich aus der Blende nahm und ihn in ein glänzendes Lager führte, wo ihn
die Truppen mit Jubelruf begrüßten. Er befahl, zum Aufbruch zu blasen, und zog
nach der Hauptstadt seines Vaters, vor welcher er ein Lager aufzuschlagen
befahl. Sein Befehl wurde sogleich befolgt, die Zelte – für ihn ein höchst
prächtiges – wurden errichtet, man sprengte mit Wasser, um den Staub zu
löschen, und die Köche zündeten ihre Feuer an, so dass ein gewaltiger Rauch
die Ebene erfüllte.

Die Bewohner der Stadt waren über die Annäherung des
Heeres erstaunt und fürchteten, als sie das Lager sahen, es wäre ein
mächtiger Feind vor den Toren, der ihnen mit einem schrecklichen Sturm drohte.
Man benachrichtigte den Sultan von diesem Herr, der, als er davon hörte, ein
Vergnügen fühlte, welches er sich nicht erklären konnte, und sagte:
"Gnädiger Allah, mein Herz ist voll Freude, und ich weiß doch nicht,
warum!" Er befahl seinem Hof, ihm zu folgen, und begab sich in das Lager
seines Sohnes, zu welchem er geführt wurde. Da jedoch der Prinz sehr reich und
ganz anders als sonst gekleidet war, so erkannte ihn der Sultan nicht.

Der Prinz empfing seinen Vater mit den seinem Rang
gebührenden Ehrenbezeigungen und fragte ihn, als sie sich beide gesetzt und ein
Gespräch begonnen hatten, was aus seinem jüngsten Sohn geworden wäre. Kaum
hatte er diese Frage getan, als der Sultan ohnmächtig zur Erde fiel. Sobald er
wieder zu sich gekommen war, rief er aus: "Ach, die Unvorsichtigkeit meines
Sohnes veranlasste ihn zu reisen, und er ist sicher eine Beute der Tiere des
Waldes geworden." – "Tröste Dich," versetzte der Prinz,
"das Missgeschick hat Deinen Sohn nicht erreicht; denn er lebt und ist
gesund." – "Ist das möglich?", rief der Sultan, "o sage
mir, wo finde ich ihn?" – "Er steht vor Dir," sagte der Prinz.
Worauf der Sultan ihn näher betrachtete, erkannte, ihm um den Hals fiel, weinte
und vor Entzücken zur Erde sank.

Als der Sultan wieder zu sich gekommen war, forderte er
seinen Sohn auf, seine Abenteuer zu erzählen, was er von Anfang bis zu Ende
tat. Als er eben fertig war, kamen die älteren Brüder, und da sie ihn in
seinem Glanz sahen, ließen sie, beschämt und unfähig zu reden, aber
neidischer als je, die Köpfe sinken. Der alte Sultan wollte sie wegen ihrer
Verräterei töten lassen, aber der jüngste Prinz sagte: "überlassen wir
sie dem Allmächtigen; denn wer sündigt, wird seine Strafe in sich selbst
finden."

Als der Reisende diese Erzählung beendet hatte, war der
Sultan so sehr davon ergötzt, dass er ihm eine große Geldsumme und eine
schöne, von ihm noch unberührte Sklavin schenkte und ihn zugleich fragte, ob
er ihm nicht eine andere Geschichte erzählen könnte, was der Reisende bejahte,
der an einem anderen Abend, als sie wieder beisammen waren, folgende Geschichte
erzählte.