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598. Nacht

Als der Sultan die Klage des Kaufmanns vernommen hatte,
erzürnte er über seinen unwürdigen Günstling und befahl, ihn sogleich
herbeizuholen. Er war jedoch nirgends zu finden; denn als er, nach Hause
gekommen, die Alte in ihrem Blut schwimmend gefunden hatte, erriet er, was
vorgefallen war, und entwischte, weil er sich fürchtete, zur Rechenschaft
gezogen zu werden, in einer gemeinen Verkleidung aus der Stadt. Zum Glück für
ihn reiste eben eine Karawane ab, und mit ihr zog er fünf Tage hintereinander
mit einem Gemüt, von getäuschter Liebe und der Furcht, entdeckt zu werden,
gleich gequält. Endlich überschritt die Karawane die Grenzen seines vormaligen
Gebieters und lagerte sich vor einer großen Stadt, in welche er ging, sich ein
Zimmer in einer Karawanserei mietete, um auszuruhen, und nachher eine minder
gefährliche Beschäftigung zu suchen beschloss als Liebeshändel und
Fürstendienst.

Als er einige Tage ausgeruht hatte, ging er auf einen
Markt, wo Arbeiter standen, um sich mieten zu lassen. Er hatte noch nicht lange
gewartet, als ein Weib auf ihn loskam und ihn fragte, ob er Arbeit suchte, was
er denn bejahte. Sie sagte hierauf: „Ein Teil der Mauer, die den Hof meines
Hauses umgibt, ist so verfallen, dass ich sie muss niederreißen und neu
aufbauen lassen, und wenn Du die Arbeit übernehmen willst, so will ich sie Dir
anvertrauen.“ Als er einwilligte führte sie ihn zu ihrem Haus, zeigte ihm
die Mauer, gab ihm eine Spitzhacke und wies ihn an, wie er die Steine in einen
Haufen und den Schutt in einen andern zusammenlegen sollte. Er erwiderte:
„Dein Wille ist mir Gesetz!“ Sie brachte ihm hierauf etwas Mundvorrat
und Wasser, womit er sich erfrischte und sodann, Gott dafür dankend, dass er
ihn hatte entwischen lassen, und dass er fähig wäre, sich seinen
Lebensunterhalt zu erwerben, seine Arbeit begann und bis Sonnenuntergang damit
fort fuhr. Die Frau, die ihn gedungen hatte, bezahlte ihm sein Tagewerk, und er
ging zufrieden nach Hause.

Am folgenden Morgen ging er wieder an die Arbeit und wurde
mit derselben Güte behandelt wie am vorigen Tag. Um die Mittagszeit, als er den
Grund der Mauer aufhackte, fand er ein kupfernes Gefäß, mit Goldmünzen
angefüllt. Er trug es nach Hause, wo er das Geld zählte, welches etwa hundert
Dinare betrug, und zu seiner Arbeit zurückkehrte. Als er am Abend heimging, sah
er eine Menge Leute einem Mann folgen, der auf seinem Kopf eine große Kiste
trug, welche er für hundert Dinare ausbot, ohne jedoch ihren Inhalt nennen zu
wollen.

Der Fischer fühlte sich unwiderstehlich angetrieben, die
Kiste zu kaufen, und obgleich ihm nach dem Kauf nur ein kleines Silberstück,
eines Pfennigs wert, übrig blieb, sagte er doch zu sich selbst: „Ich will
mein Heil versuchen. Vielleicht enthält die Kiste etwas von Wert. Wo nicht, so
will ich meinen Irrtum nicht beklagen.“ Und so befahl er, sie nach seiner
Wohnung zu bringen, und bezahlte den verlangten Preis. Er verschloss hierauf
seine Türe und öffnete die Kiste, in welcher er ein schönes und reich
gekleidetes aber dem Anschein nach lebloses Mädchen fand. Als er jedoch seine
Hand an ihren Mund legte, bemerkte er, dass sie atmete und nur in tiefen Schlaf
versunken war, aus welchem sie zu erwecken er sich vergebens bemühte. Er nahm
sie nun aus der Kiste, legte sie sanft auf einen Teppich und ließ nicht ab,
ihre Reize anzustaunen, bis sie endlich gegen Mitternacht erwachte und voll
Erstaunen ausrief: „Barmherziger Allah, wo bin ich?“

Als der erste Schrecken der Frau vorüber war, fragte sie
den Fischer, wie er sie in seine Wohnung gebracht hätte; und als sie das
Nähere erfuhr, beruhigte sich ihr Gemüt; denn der Fischer behandelte sie mit
ehrfurchtsvoller Aufmerksamkeit. Sie verbarg für jetzt noch ihren Stand und
ihre Abenteuer und sagte: „Diese Wohnung ist zu klein, morgen musst du eine
größere suchen. Diene mir treu, erfülle mein Verlangen, und Du wirst
reichlich belohnt werden.“ Der Fischer, durch sein letztes Liebesabenteuer
vorsichtig gemacht, wagte es nicht, sich Freiheiten herauszunehmen, machte, von
ihrem wundervollen Benehmen in Ehrfurcht gehalten, eine tiefe Verbeugung und
bekannte sich als ihren Sklaven. Er setzte ihr die besten Erfrischungen vor, die
er zu erhalten vermochte, verließ sie, als sie zu Abend gegessen hatte, und
ging in eine Kammer, um dort zu schlafen.

Am folgenden Morgen ging er aus und mietete ein
anständiges Haus, in welches er sie in einer bedeckten Sänfte bringen ließ
und ihr zwanzig Tage lang diente, indem sie ihn hinlänglich zur Anschaffung
alles Nötigen mit Geld versorgte.