Project Description

583. Nacht

Die zweite Prinzessin wurde nach langem Hin- und
Hertreiben der Wellen auf ihrem Brett endlich an ein Ufer in der Nähe einer
großen Stadt geworfen, in welche sie sich begab, und wo sie glücklicherweise
auf eine mitleidige Matrone stieß, welche sie in ihr Haus einlud und an die
Stelle ihrer unlängst verstorbenen Tochter als Kind annahm. Hier stellte sich
ihre Gesundheit und ihre Schönheit bald wieder her. Es begab sich, dass der
Sultan dieser Stadt, der wegen seiner gelinden Regierung und wegen seiner
Freigebigkeit sehr beliebt war, erkrankte und ungeachtet der Geschicklichkeit
der berühmtesten ärzte täglich schlechter wurde, so dass man zum großen,
allgemeinen Kummer des Volkes an seinem Aufkommen zweifelte. Als die Prinzessin
ihre ehrwürdige Beschützerin über die Gefahr des Sultans klagen hörte, sagte
sie: "Meine teure Mutter, ich will einen Trank kochen, und wenn Ihr ihn dem
Sultan bringen und bewirken wollt, dass er ihn zu sich nimmt, so wird er mit
Allahs Hilfe geheilt werden." – "Ich fürchte," sagte die Mutter,
"dass ich keinen Zutritt in den Palast erhalten und noch weniger werde dem
Sultan den Trank übergeben können." – "Versuche es nur,"
erwiderte die Prinzessin, "selbst der Versuch, eine gute Handlung zu
begehen, ist Gott angenehm." – "Wohlan," sagte die Alte, "so
bereite nur Deinen Trank, und ich will mich bemühen, Zutritt zu erhalten."

Die Prinzessin bereitete den aus mehreren Bestandteilen
zusammengesetzten Trank, und die alte Frau trug ihn, als er fertig war, in des
Sultans Palast. Die Wachen und Verschnittenen fragten sie, was sie brächte,
worauf sie erwiderte: "Einen Trank, den ich Euch dem Sultan zu geben und
ihn zugleich zu ersuchen bitte, er möge davon, so viel er vermag, zu sich
nehmen; denn Gottes Hilfe wird ihn dadurch wieder herstellen." Die
Verschnittenen führten sie in das Zimmer ihres kranken Herrschers, und nachdem
die alte Frau den Deckel von dem Gefäß genommen, verbreitete sich ein
angenehmer Duft, der die Lebensgeister des Kranken stärkte. Als er erfuhr, was
die ehrwürdige Matrone brachte, dankte er ihr und kostete den Trank, der so
angenehm duftete, dass er einen großen Teil davon mit einem Gelüste genoss,
wie er es lange nicht gefühlt hatte. Er beschenkte hierauf die überbringerin
mit einem Beutel voll Dinaren, worauf sie sich zur Prinzessin begab und sie von
der freundlichen Aufnahme und dem Geschenk benachrichtige.

Bald nachher fühlte der Sultan eine Neigung zur Ruhe und
sank in einen erquickenden mehrstündigen Schlaf. Als er erwachte, fühlte er
sich auf wunderbare Weise gekräftigt und genoss, da er noch Gelüste hatte, den
überrest des Trankes. Er wünschte noch mehr davon zu haben und fragte nach der
alten Frau; aber keiner seiner Diener wusste ihm ihre Wohnung zu sagen. Sie
brachte jedoch am Abend eine neue von der Prinzessin bereitete Speise, welche
der Sultan mit neuem Gelüst verzehrte, worauf er, der vorher ganz Hilflose, nun
imstande war, sich zu erheben und sogar zu gehen. Er fragte die alte Frau, ob
sie selbst das überbrachte zubereitet hätte. Sie erwiderte: "Nein, Herr,
meine Tochter hat es bereitet und mich gebeten, es Dir zu bringen." Der
Sultan versetzte: "Sie kann nicht Deine Tochter sein, denn ihre
Geschicklichkeit gibt zu erkennen, dass sie von viel höherem Stand ist."
Er machte ihr ein Geschenk und bat sie, ihm jeden Morgen neue Stärkung zu
bringen, worauf sie erwiderte: "Dein Wille ist mir Gesetz!" und
fort ging.

Die Prinzessin sandte sieben Morgen nacheinander
regelmäßig das Verlangte, und der Sultan beschenkte ebenso regelmäßig ihre
Pflegemutter mit einem Beutel voll Dinaren; denn seine Wiederherstellung ging so
schnell vonstatten, dass er nach Ablauf des sechsten Tages sich vollkommen wohl
befand und am siebten zu Pferd stieg und nach seinem Lustschloss auf dem Land
ritt, um dort zu baden und der frischen Luft zu genießen. Er hatte die alte
Frau während ihrer Besuche oft nach ihrer Pflegetochter befragt, und sie hatte
ihre Schönheit, ihre Tugenden und ihre Talente so geschildert, dass sein Herz
davon entzückt und er höchst begierig war, sie zu sehen.

Der Sultan, um seiner Neugier zu genügen, verkleidete
sich als Derwisch, begab sich nach dem Haus der alten Frau und klopfte an die
Tür. Als er gefragt wurde, was er begehrte, sagte er: "Ich bin ein
wandernder Derwisch, fremd in dieser Stadt und sehr hungrig." Die alte
Frau, die sich fürchtete, eine unbekannte Person aufzunehmen, wollte ihn
fortschicken, aber die Prinzessin sagte: "Es ist unsere Pflicht, gastfrei
zu sein, besonders gegen fromme Arme." Er wurde also eingelassen, und
nachdem die Prinzessin ihn ehrfurchtsvoll ersucht hatte, sich niederzulassen,
setzte sie ihm Speise und Trank vor. Als er gesättigt war, wusch er sich, stand
auf, bedankte sich bei der alten Frau und ihrer vermeintlichen Tochter für ihre
Güte und entfernte sich; aber sein Auge war von der Schönheit der Prinzessin
bezaubert und sein Herz voll Liebe zu ihr.