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581. Nacht

Wir müssen nun auf eine Weile die unglückliche Sultanin
und ihre Töchter verlassen und uns zu dem Sultan, ihrem Gatten, wenden. Als er
sich der Hauptstadt näherte, kam der verräterische Wesir mit den
Regierungsbeamten und den vornehmsten Einwohnern der Stadt ihm entgegen, und
alle, vornehm und gering, wünschten ihm Glück zu seiner glücklichen Rückkehr
von der heiligen Wallfahrt.

Als der Sultan in seinen Palast gelangt war, zog er sich
mit dem Wesir zurück und befahl ihm, dass er ihm die näheren Umstände von dem
schändlichen Betragen seiner Gattin erzählen sollte, worauf dieser sagte:
"Herr, die Sultanin sandte einen Sklaven zu mir und verlangte, dass ich sie
besuchen sollte. Ich wollte das aber nicht und tötete den Sklaven, damit das
Geheimnis verborgen bleiben möchte, weil ich hoffte, sie würde ihre Schwäche
bereuen, was sie jedoch nicht tat, sondern ihre schändliche Einladung fünf Mal
wiederholte. Bei der fünften war ich für eure Ehre besorgt und machte Euch mit
ihrem verbrecherischen Betragen bekannt."

Nach Anhörung dieses Berichtes senkte der Sultan eine
Weile sein Haupt in tiefen Gedanken und befahl, als er es wieder erhoben, die
beiden Diener, welchen er die Ermordung seiner Frau und seiner Kinder
aufgetragen hatte, vor ihn zu bringen. Als sie kamen, fragte er sie, wie sie
seinen Auftrag ausgerichtet hätten. Sie erwiderten: "Wir haben getan, was
Du uns zu tun befohlen hast, und als einen Beweis unserer Treue sieh hier diese
mit dem Blut der Verbrecherinnen gefärbten Kleider." Der Sultan nahm die
Kleider, aber die Erinnerung an seine schöne Gemahlin, an ihre frühere große
Zärtlichkeit, an das mit ihr genossene Glück und an die Unschuld seiner Kinder
ergriffen sein Gemüt so sehr, dass er bitterlich weinte und in Ohnmacht sank.
Als er sich erholte, fragte er den Wesir, ob er denn wirklich die Wahrheit
gesprochen hätte, was dieser beteuerte.

Nach einer langen Pause sagte der Sultan zu den zwei
Dienern: "Habt ihr auch wirklich meine unschuldigen Kinder und ihre
schuldige Mutter getötet?" Sie schweigen. Der Sultan rief aus: "Warum
antwortet ihr nicht und schweigt?" Sie erwiderten: "Herr, ehrliche
Leute können nicht lügen, denn das Lügen bezeichnet den Verräter." Als
der Wesir diese Worte gehört hatte, wechselte er die Farbe, seine ganze Haltung
drückte Bestürzung aus, und ein Zittern ergriff ihn, worauf der Sultan, der
dies alles gewahrte, zu den Dienern sagte: "Was meint ihr mit der
Bemerkung, dass Lügen den Verräter bezeichne? Ist es möglich, dass ihr sie
nicht getötet habt? Sagt augenblicklich die Wahrheit, oder ihr sollt – ich
schwör’s bei dem Gott, der mich zum Wächter seines Volkes bestellt hat – unter
den entsetzlichsten Qualen hingereichtet werden."

Die beiden Männer warfen sich vor dem Sultan nieder und
sagten: "Furchtbarer Herrscher, wir führten, wie Du uns befohlen, die
unglückliche Sultanin mit ihren drei Töchtern in die Mitte der Wüste, wo wir
sie von der Anklage des Wesirs und von Deinem sie betreffenden Befehl
unterrichteten. Nachdem sie Sultanin uns mit Fassung angehört hatte, rief sie
aus: "Hier kann nur der Allmächtige helfen! Von Gott kommen wir, und zu
Gott müssen wir wieder zurückkehren! Wenn ihr uns aber tötet, so tut ihr es
mit Unrecht; denn der verräterische Wesir hat mich fälschlich angeklagt, und
er allein ist schuldig." – Sie erzählte uns hierauf, wie er sich bemüht,
sie durch reiche Geschenke zu bestechen, und dass sie seine Botinnen getötet
hätte."

Der Sultan rief nach diesen Worten in Todesangst aus:
"Habt ihr sie erschlagen, oder leben sie noch?" – "Herr,"
erwiderten die Diener, "wir waren von der Unschuld der Sultanin so
überzeugt, dass wir’s nicht übers Herz bringen konnten, sie zu töten. Wir
fingen einige Antilopenkälber, töteten sie, und nachdem wir die der
verleumdeten Mutter und Euren Kindern gehörigen Kleider in das Blut der Tiere
getaucht hatte, kochten wir deren Fleisch und gaben es Eurer unglücklichen
Gattin und Euren Töchtern, worauf wir zu ihnen sagten: "Wir lassen Euch im
Schutz eines gnädigen Gottes, der die, welche ihm vertrauen, nie verlässt.
Eure Unschuld wird Euch beschützen." Wir ließen sie hierauf mitten in der
Wüste und kehrten in die Stadt zurück."

Der Sultan wandte sich voll Wut zu seinem Wesir und rief
aus: "Elender Verräter! Auf solche Weise hast Du mich also von meinem
geliebten Weibe und von meinen unschuldigen Kindern getrennt?" Der
schuldbewusste Minister konnte kein Wort vorbringen, zitterte aber gleich einem
vom Schlag Gerührten. Der Sultan befahl sogleich, einen ungeheuren
Scheiterhaufen zu errichten, und der an Händen und Füßen gefesselte Wesir
wurde ins Feuer geworfen, welches ihn sogleich zu Asche verbrannte."