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577. Nacht

Zweiter Besuch des Sultans bei den
Schwestern

Nachdem der Sultan die drei närrischen Schulmeister
beschenkt und entlassen hatte, befahl er dem Wesir, das Haus der drei Mädchen
und ihrer Mutter aufzusuchen, da er willens wäre, sie nochmals verkleidet zu
besuchen, da er willens wäre, sie nochmals verkleidet zu besuchen, um ihre
Abenteuer anzuhören. Der Wesir eilte, ihm zu gehorchen, fand jedoch alle
Häuser der Straße, wo jene Frauen wohnten, auf gleiche Weise bezeichnet: Eine
List der jüngsten von den drei Schwestern, welche den Sultan behorcht und sich
dieses Mittels bedient hatte, um die Auffindung ihres Aufenthalts zu verhindern.
Der Wesir kehrte zu dem Sultan zurück und erzählte ihm den gespielten Streich.
Er war ärgerlich darüber; aber der Umstand reizte seine Neugier nur noch mehr.
Endlich verfiel der Wesir auf eine List und sagte zum Sultan: "Herr, lasst
einen Befehl vier Tage hintereinander in der Stadt bekannt machen, dass jedem,
der nach der ersten Nachtwache in seinem Haus noch eine Lampe brennen hat, das
Haupt abgeschlagen werden, er seiner Güter verlustig gehen, sein Haus bis auf
den Grund niedergerissen und jedes ihm angehörige Weibsbild geschändet werden
soll.

Da jene Mädchen Deinen wegen der Hochzeitsfeierlichkeiten
bekannt gemachten Befehl nicht beachtet haben, so ist es leicht möglich, dass
sie auch diesen nicht beachten und wir auf diese Weise ihren Aufenthalt
ausfindig machen."

Der Sultan billigte diesen Vorschlag des Wesirs, ließ den
Befehl ergehen und erwartete ungeduldig die vierte Nacht, in welcher er sich mit
seinem Minister in der vorigen Verkleidung auf die Straße begab, in der die
Mädchen wohnte. Nur in einem einzigen Haus war Licht zu sehen, und da es nun
wahrscheinlich war, dass dieses Haus das gesuchte wäre, so klopften sie an die
Türe.

Sogleich rief die jüngste Schwester: "Wer ist an der
Türe?" Sie erwiderten: "Wir sind Derwische und wünschen eure Gäste
zu sein!" Sie versetzte: "Was begehrt ihr zu so später Zeit, und wo
habt ihr die letzte Nacht gewohnt?" Sie antworteten: "Unsere Wohnung
ist in einem Gasthaus. Aber wir haben uns verirrt und fürchten, von der
Scharwache ergriffen zu werden. Seid also so gütig, uns die Türe zu öffnen
und uns für den überrest der Nacht ein Obdach zu gewähren. Es wird Euch vom
Himmel als eine verdienstvolle Tat angerechnet werden." als die Mutter
diese Worte hörte, befahl sie, die Türe zu öffnen.

Als sie nun eingetreten waren, erhoben sich die alte Frau
und ihre Töchter, empfingen sie ehrfurchtsvoll, und nachdem sie sie zum Sitzen
genötigt hatten, setzten sie ihnen Erfrischungen vor, welche sie mit Vergnügen
annahmen und genossen. Endlich sagte der Sultan: "Kinder, Euch ist doch
ohne Zweifel der Befehl des Sultans bekannt, wie kommt es, dass ihr allein in
der ganzen Stadt ihn nicht befolgt und noch nach der ersten Nachtwache in Eurem
Haus Licht brennen habt?" Worauf die jüngste erwiderte: "Guter
Derwisch, selbst dem Sultan soll man nur dann gehorchen, wenn er vernünftige
Befehle erteilt, und da sein Befehl, keine Lampe brennen zu lassen, ein
tyrannischer ist, so sollte er nach den Worten der Schrift nicht befolgt werden,
denn der Koran sagt: "Gehorsam gegen ein Geschöpf in ungerechter Sache ist
eine Sünde gegen den Schöpfer." – Der Sultan (Gott verzeih‘ es ihm!)
handelt gegen die Schrift und gehorcht den Eingebungen Satans. Wir zwei
Schwestern machen es uns nebst unserer Mutter zum Gesetz, jede Nacht eine
bestimmte Masse Baumwolle zu spinnen, welche wir am Tage verkaufen, und von
deren Ertrag wir unsern Unterhalt bestreiten."