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575. Nacht

Geschichte des lendenlahmen Schulmeisters

"Ich war, o mächtiger Sultan, einst ein Schulmeister
und hatte nahe an siebzig Schüler in meiner Schule, auf deren Sitten ich nicht
minder achtsam war als auf ihren Fleiß, und ich flößte ihnen so viel
Ehrfurcht vor mir ein, dass, wenn ich nieste, sie ihre Bücher und Schreibereien
hinlegten, mit gekreuzten Armen aufstanden und mit einer Stimme ausriefen:
"Gott segne unsern Lehrer!", worauf ich erwiderte: " Er segne
mich und Euch und alle, welche Kinder haben!" Wenn nun einer von den Knaben
in diesen Wunsch nicht einstimmte, so pflegte ich ihn streng zu züchtigen. An
einem schönen Nachmittag baten mich meine Schüler um die Erlaubnis, einen
gewissen Garten nahe bei der Stadt zu besuchen. Ich gewährte sie ihnen, und sie
schossen Geld zusammen, um Zuckerwerk und Früchte einzukaufen. Ich begleitete
sie auf diesem Spaziergang und freute mich ihrer Freude und ihrer kindischen
Spiele. Gegen Abend machten wir uns auf den Heimweg, und meine Knaben, die vom
Spielen sehr müde waren und viel Süßigkeiten und Früchte gegessen hatten,
fühlen heftigen Durst, über den sie sich sehr beklagten. Endlich erreichten
wir einen Zeihbrunnen, aber leider hatte er weder Strick noch Eimer. Ich
bedauerte ihre Lage und beschloss, ihnen wo möglich zu helfen. Ich bat sei, mir
ihre Turbane zu geben, die ich zusammenband. Da sie aber alle zusammen nicht
lang genug warn, um das Wasser zu erreichen, so befestigte ich einen der Turbane
um meinen Leib, die Knaben mussten mich in den Brunnen hinab lassen, ich füllte
unten einen kleinen Becher, den ich bei mir hatte, und sie zogen ihn
wiederholentlich herauf, bis ihr Durst gelöscht war. Ich verlangte sodann von
ihnen, dass sie mich wieder hinaufziehen sollten, was sie auch versuchten, und
ich hatte beinahe den Rand des Brunnens erreicht, als mich unglücklicherweise
das Niesen ankam, worauf die Knaben allzumal unwillkürlich, wie sie es von der
Schule her gewohnt waren, mich loslassend, ihre Arme kreuzten und ausriefen:
"Gott segne unsern ehrwürdigen Lehrer!" Ich fiel nun plötzlich auf
den Grund des Brunnens und brach meine Schenkel. Der Schmerz machte, dass ich
laut aufschrie, und die Kinder rannten nach allen Seiten, um Hilfe zu suchen.
Endlich wurde ich von einigen mitleidigen Vorübergehenden herausgezogen, auf
einen Esel gesetzt und nach Hause gebracht, wo cih eine lange Zeit daniederlag
und nie wieder genas, um meine Schule, wie sich’s gebührte, halten zu können.
So musste ich meinen törichten Stolz büßen, denn hätte ich nicht so
hartnäckig auf die Ehrerbietung meiner Schüler gedrungen, so würden sie mich
wegen meines Niesens nicht haben fallen und die Beine brechen lassen."