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574. Nacht

Nachtabenteuer des Sultans

Während einer der Nächte dieses großen Festes überfiel
den Sultan eine Neugier, verkleidet die Stadt zu durchstreifen, um zu sehen, ob
seine Befehle pünktlich vollzogen würden. Demnach begannen er und sein Wesir,
nachdem sie in der Tracht persischer Derwische den Palast heimlich verlassen
hatten, ihren Gang und durchforschten mehrere Straßen. Endlich in ein enges
Gässchen gelangt, gewahrten sie in einem der Häuser ein Licht und hörten den
Klang von Stimmen. Als sie an die Türe gekommen waren, hörten sie eine Person
zu einer anderen sagen: "Unser Sultan versteht sich nicht auf das Bewirten,
noch ist er freigebig, da es den Armen nicht freisteht, an dem kostbaren Fest
teilzunehmen. Er hätte seine Gaben unter die Elenden, die es nicht wagen, in
ihren zerlumpten Kleidern in den Palast zu gehen, verteilen und sie ihnen in
ihre Wohnungen senden lassen sollen."

Als der Sultan dies gehört, sagte er zu dem Wesir:
"Wir müssen in dieses Haus hinein!", und klopfte an die Türe, worauf
jemand rief: "Wer ist da?" – "Gäste!", erwiderte der
Sultan. "Ihr sollt zu dem wenigen, was wir haben, willkommen sein,"
antwortete die Person und öffnete die Türe. Als sie eingetreten waren,
bemerkte der Sultan drei ärmlich aussehende alte Männer, von denen der eine
hinkend, der andere lendenlahm und der dritte schiefmäulig war. Er fragte sie
nach der Ursache ihres Unglücks, worauf sie antworteten: "Unsere Leiden
kommen von der Schwäche unseres Verstandes her." Der Sultan flüsterte
hierauf seinem Wesir zu, dass er nach Beendigung des Festes die drei Männer vor
ihn bringen sollte, damit er ihre Abenteuer kennen lerne.

Als sie etwas von der dürftigen Kost genossen hatten, die
man ihnen vorsetzte, standen der Sultan und der Wesir auf, und nachdem sie den
drei verkrüppelten Genossen einige wenige Dinare geschenkt hatten, nahmen sie
Abschied und gingen.

Sie streifen noch weiter herum. Es war nun nahe an
Mitternacht, als sie ein Haus erreichten, in welchem sie durch ein Gitter drei
Mädchen gewahrten, welche mit ihrer Mutter ein ärmliches Mahl verzehrten,
wobei die eine von Zeit zu Zeit sang und die andern beiden lachten und
schwatzten. Der Sultan beschloss, hineinzugehen, und befahl dem Wesir, an die
Türe zu klopfen, welches dieser tat, worauf eine von den Schwestern fragte, wer
bei so später Nachtzeit anklopfte. "Wir seid zwei fremde Derwische,"
versetzte der Wesir, worauf die Antwort erfolgte: "Wir sind tugendhafte
Frauen und haben keine Mannspersonen im Haus, bei denen ihr aufgenommen werden
könntet. Begebt Euch zu dem Fest des Sultans, der Euch bewirten wird." –
"Ach!", versetzte der Wesir, "wir sind Fremde, kennen den Weg zum
Palast nicht und fürchten uns, von der Scharwache angegriffen zu werden.
Vergönnt uns nur bis zum Anbruch des Tages ein Obdach. Wir wollen alsdann
weitergehen, und ihr habt von uns nichts Unschickliches zu befürchten!"

Als die Mutter der Mädchen dies gehört hatte, fühlte
sie Mitleid mit dem Fremden und befahl, die Türe zu öffnen. Der Sultan und der
Wesir traten ein, grüßten und setzten sich nieder; aber der erste konnte, als
er die Schönheit und das feine Benehmen der Schwestern bemerkte, sich nicht
enthalten, zu fragen, woher es käme, dass sie so allein wohnten und keine
Ehemänner oder sonstige männliche Beschützer hätten. Die jüngere Schwester
erwiderte: "Bezähme Deine Neugier, unbescheidener Derwisch, unsere
Geschichte ist erstaunlich; aber wenn Du nicht Sultan bist, und wenn Dein
Begleiter nicht auch kein Derwisch ist, so vermagst Du unser Abenteuer nicht zu
würdigen. Der Sultan berührte nun diese Sache nicht weiter, und sie sprachen
über verschiedene gleichgültige Gegenstände bis gegen Anbruch des Tages, wo
dann die vorgeblichen Derwische ehrfurchtsvoll Abschied nahmen und sich
empfahlen. an der Türe befahl der Sultan dem Wesir, sich das Haus zu merken, so
dass er es wieder zu erkennen vermöchte, indem er entschlossen wäre, nach
Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten nach diesen Frauen zu schicken und ihre
Geschichte zu hören.

Am letzten Abend des Festes beschenkte der Sultan alle
seine Hofleute mit Ehrenkleidern, und als am folgenden Tag alles wieder in sein
altes Gleis kam, befahl er dem Wesir, die drei Krüppel vor ihn zu bringen, die
ihm nun auf sein Verlangen ihre Geschichte folgendermaßen erzählten.