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572. Nacht

Hierauf ging der Jüngling, konnte sich aber im gehen
nicht entbrechen, zu sich selbst zu sagen: "Gewiss muss men Meister
wahnsinnig sein, oder er denkt, uns zu foppen." Als er den Palast erreicht
hatte, fand er den Sultan seiner harrend, worauf er ihm seine Ehrfurcht bezeigte
und zu ihm sagte: "Will mein Gebieter mich mit seiner Gesellschaft
beehren?"

Der Sultan stand auf, bestieg sein Ross und folgte,
begleitet von dem ganzen Hof, dem Jüngling zu dem von dem Greis gewählten
Platz. Dort stand jetzt aber eine königliche Wohnung, an deren Pforten
zahlreiche Diener in kostbaren Anzügen ehrfurchtsvoll der Ankunft des
ehrwürdigen Sultans zu harren schien. Als der junge Mann diese Verwandlung sah,
war er kaum seiner Sinne mächtig. Er sagte zu sich selbst: "Wie ist aus
diesem Haufen von Trümmern so schnell ein Palast, prächtiger als irgend einer
des Sultans, geworden! Ich bin erstaunt; aber ich muss das Geheimnis für mich
behalten."

Sowohl der Sultan als seine Hofleute stiegen ab und traten
in den Palast. sie waren über den Glanz und die Pracht des ersten Hofes
erstaunt, aber noch mehr über die noch größere eines zweiten, durch welchen
sie in einen geräumigen Saal geführt wurden, in welchem der ehrwürdige Greis
saß und sie erwartete. Der Sultan verneigte sich tief, worauf der Weise mit dem
Haupt nickte, ohne jedoch aufzustehen. Der Sultan setze sich hierauf nieder, der
Greis begrüßte ihn, und sie begannen eine Unterhaltung über verschiedene
Gegenstände; aber der Sultan war ganz verwirrt über das würdevolle Benehmen
seines Wirtes und die glänzenden Gegenstände um ihn her. Endlich befahl der
Greis seinem Schüler, an eine Tür zu klopfen und das Frühstück zu verlangen.
Er tat es, die Tür öffnete sich, und es traten hundert Sklaven herein, die auf
ihren Häuptern goldene Mulden trugen, in welchen sich Teller von Achat, Karniol
und anderen Steinen, mit Speisen gefüllt, befanden, welche sie vor dem Sultan
in Ordnung aufstellten. Er war erstaunt, denn er besaß nichts von gleicher
Pracht. Er nahm hierauf einen köstlichen Imbiss ein, ebenso der ehrwürdige
Greis und alle Hofleute, bis sie satt waren, worauf sie Kaffee und verschiedene
Arten von Sorbet tranken, wobei der Sultan und der Weise sich über religiöse
und literarische Gegenstände unterhielten und der erstere von des letzteren
Bemerkungen sehr erbaut war.

Als es Mittag war, gebot der Weise seinem Schüler, an
eine andere Tür zu klopfen und das Mittagessen zu verlagen. Kaum hatte er das
getan, als hundert von den vorigen Sklaven erschienen und Mulden mit den
köstlichsten Fleischspeisen hereintrugen. Sie breiteten vor dem Sultan den
Essteppich aus und setzten die Teller auf, welche dicht mit Edelsteinen besetzt
waren, worüber der Sultan noch mehr erstaunte als vorher. Als alle sich satt
gegessen hatten, wurden Gießkannen und Becken, einige von Gold, andere von
Achat, herumgereicht, und sie wuschen ihre Hände. Sodann fragte der Greis den
Sultan, ob er schon die Aussteuer bestimmt hätte, die sein Sohn der Prinzessin
geben sollte, worauf der Sultan erwiderte, er hätte sie schon empfangen. Er
sagte das aus Artigkeit; aber der Greis entgegnete, die Heirat könnte ohne
Aussteuer nicht vollzogen werden. Er bot sodann eine große Geldsumme und viele
Edelsteine im Namen seines Schülers dar, worauf er sich mit dem Sultan in ein
anderes Zimmer begab, ihn dort mit einem glänzenden Anzug bekleidete und auch
jedem seiner Begleiter seinem Rang gemäß reiche Anzüge schenkte. Der Sultan
empfahl sich dem Greis und begab sich mit seinem künftigen Schwiegersohn in
seinen Palast.

Als es Abend wurde, führte man den jungen Mann in das
Zimmer der Prinzessin, welches er mit den reichsten Teppichen geschmückt und
von köstlichen Wohlgerüchen durchströmt fand. Seien Braut war aber nicht da,
worüber er etwas erstaunte, jedoch vermutete, ihre Ankunft würde um
Mitternacht erfolgen, welche Stunde er nun mit Ungeduld erwartete. Sie kam, aber
keine Braut. Tausend trübe Gedanken und Gefühle, beunruhigten ihn nun, und er
brachte die Nacht bis an den Morgen in rastloser Angst zu. Auch der Vater und
die Mutter waren nicht minder ungeduldig; denn sie setzten voraus, dass sie bei
ihrem Gemahl wäre, und erwarteten ängstlich die überbringung der
gewöhnlichen, die Vollziehung der Ehe bestätigenden Zeichen.