Project Description

569. Nacht

Der Jüngling gehorchte seinem Befehl, aber er war kaum an
Ort und Stelle, als ihn eine Menge von Neugierigen umgab, die über seinen
Anblick staunten. Der Bereicht von der so wunderbaren Erscheinung eines halben
Mannes verbreitete sich alsbald durch die Stadt und gelangte bis in den Palast
des Sultans, der nach dem vermeintlichen Ungeheuer schickte.

Der junge Mann wurde in den Palast geführt, wo der ganze
Hof ihn anstaunte. Hierauf führte man ihn in den Harem, um die Neugier der
Frauen zu befriedigen. hier sah er nun die Prinzessin und wurde durch den Glanz
ihrer Reize so entzückt, dass er zu sich selbst sagte: „Wenn ich sie nicht
heiraten kann, so will ich mich töten.“

Als der junge Mann aus dem Palast entlassen war, begab er
sich nach hause, das Herz voll Liebe für die Tochter des Sultans. Da fragte ihn
der Weise, ob er die Prinzessin gesehen hätte. „Das hab‘ ich,“
versetzte der Jüngling, „aber ein Blick ist nicht hinreichend, und ich
habe keine ruhe, bis ich neben ihr sitzen und meine Augen an ihr weiden kann,
bis sie des Schauens müde sind.“ – „Ach, mein Sohn,“ rief der
Greis aus, „ich fürchte für den Frieden Deines Herzens. Wir sind fromme
Männer und sollten Versuchungen scheuen. Auch schickt es sich nicht für uns,
mit dem Sultan zu verkehren.“ Hierauf entgegnete der junge Mann: „Mein
Vater, wenn ich nicht neben ihr sitzen und ihren Hals mit meinen Händen
berühren kann, so bringe ich mich ums Leben.“

Der Weise, über diese Worte bestürzt und für die Ruhe
seines Schülers besorgt, sagte zu sich selbst: „Ich will wo möglich
diesen jungen Mann bewahren, und vielleicht wird Allah seine Wünsche
gewähren.“ Hierauf bestrich er seine beiden Augen mit einem wunderbaren
Wasser, welches die Wirkung hatte, ihn unsichtbar zu machen. Dann sagte er zu
ihm: „Geh, mein Sohn, befriedige Deine Wünsche; kehre aber zurück und
bleib nicht lange von Deiner Pflicht entfernt.“

Der junge Mann eilte nach dem königlichen Palast und ging
unbemerkt hinein nach dem Harem, woselbst er sich neben der Tochter des Sultans
setzte. Eine Zeitlang begnügte er sich damit, ihre Schönheit anzustaunen; aber
endlich berührte er ihren Hals leise mit seiner Hand. sobald die Prinzessin
diese Berührung fühlte, schrie sie laut auf: „Ich suche Hilfe bei Allah
vor Satan, dem Verfluchten!“ Ihre Mutter und die gegenwärtigen Frauen, die
über ihr Aufschreien heftig erschraken, fragten begierig nach der Ursache,
worauf sie entgegnete: „Iblis oder irgend ein andrer böser Geist hat mich
diesen Augenblick am Hals berührt.“

Die darüber sehr bestürzte Mutter schickte nach ihrer
Amme, die da meinte, als sie das Vorgefallene vernommen, dass zur Vertreibung
böser Geister kein Mittel besser und entschiedener Hilfe als der Rauch von
angezündetem Kamelmist, wovon sogleich ein Häufchen herbeigebracht und
angezündet wurde. Der Rauch davon füllte das ganze Zimmer und griff die Augen
des jungen Mannes dergestalt an, dass sie ihm voll Wasser traten: Worauf er sie
gedankenlos mit seinem Schnupftuch trocknete und so den Zaubersaft mit
abwischte.

Kaum war dies geschehen, als der junge Mann sichtbar wurde
und die Prinzessin, ihre Mutter und die Frauen alle auf einmal ein Geschrei des
Erstaunens und der Bestürzung ausstießen, worauf die Verschnittenen
herbeikamen. Als sie den jungen Mann gewahr wurden, umgaben sie ihn, schlugen
ihn unbarmherzig und schleppten ihn vor den Sultan, dem sie anzeigten, dass sie
ihn im Harem gefunden hätten. Der erzürnte Sultan schickte nach dem
Scharfrichter und befahl ihm, den Schuldigen zu ergreifen, ihm ein schwarzes,
mit Flammen besätes Gewand anzuziehen, ihn auf ein Kamel zu setzen, zur Schau
durch die Stadt zu führen und ihn dann hinzurichten.