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565. Nacht

Während ich in diesem Zustand war, rief sie ihre
Dienerinnen, welche sogleich die Treppe herabkamen, die hauptlose Leiche eines
jungen Mädchens tragend, deren Haupt sie auf die Mitte des Rumpfes legten. Ich
erkannte es als das Haupt des Mädchens, das mir das Kleinod für einen Kuss auf
die Wange verkauft und mich gebissen hatte. Meine Frau rief nun aus: „Ich
brauche solche Spielereien nicht, denn ich besitze deren genug: Aber ich wollte
wissen, ob Du Deinem mir gegebenen Versprechen, Dich mit keinem anderen Weib
außer mir in Liebkosungen einzulassen, treu bleiben würdest, und deshalb
sandte ich das Mädchen, um Dich in Versuchung zu führen. Da Du Dein
Versprechen gebrochen hast, so geh und kehre nimmer wieder.“

Als meine Frau zu reden aufgehört hatte, nahm mich meine
Schwiegermutter bei der Hand, verband mir mit dem Tuch die Augen, führte mich
an den gewöhnlichen Ort und sagte zu mir: „Geh!“, und verschwand.

Ich war über die seltsame Geschichte und den Verlust
meiner Frau so betrübt, dass ich gleich einem Wahnsinnigen durch die Straßen
rannte und ausrief: „Ach wie viel Schönheit, wie viel Zierlichkeit besaß
sie doch!“, worauf das Volk, welches mich für wahrhaft toll hielt, mich in
dieses Hospital brachte und mich, wie Ihr seht, in Banden legte.“

Als der Sultan die Geschichte dieses jungen Mannes gehört
hatte, war er sehr bewegt, neigte einige Augenblicke sein Haupt gedankenvoll und
sagte dann zu dem Wesir: „Beim Allah, der mir die Herrschaft anvertraut
hat, wenn Du die Frau, die diesen jungen Mann geheiratet hat, nicht ausfindig
machst, soll Dein Haupt verfallen sein.“

Der Wesir war bestürzt, fasste sich jedoch und bat um
eine Frist von drei Tagen, welche der Sultan ihm bewilligte.

Der Wesir nahm den jungen Mann mit sich, und sie suchten
zwei Tage lang das Haus vergebens. Endlich fragte er ihn, ob er wohl den Fleck
erkennen würde, wo ihm das Tuch umgebunden, und den Torweg, wo es ihm
abgebunden worden, was der junge Mann beides bejahte. Er führte den Minister
auf die Straße, wo er verbunden worden war, und sie erreichten einen Torweg, an
welchen der Wesir anpochte. Die Dienerinnen öffneten, und da sie den Wesir
kannten und den jungen Mann an seiner Seite sahen, erschraken sie und eilten,
ihrer Gebieterin zu melden, wer da wäre.

Diese wünschte die Befehle des Wesirs zu erfahren, der
sie wissen ließ, dass der Sultan ihre Versöhnung mit ihrem Gatten wünschte.
„Da der Sultan befiehlt,“ sagte sie, „so ist es meine
Schuldigkeit, zu gehorchen.“ Der junge Mann wurde aufs neue mit seiner Frau
verbunden, welche die Tochter eines früheren Sultans von Kairo war.

Das waren die Abenteuer des jungen Mannes, welchen der
Sultan und der Wesir im Hospital lesend fanden. Folgendes ist nun die Geschichte
des jungen Mannes, der jenem zuhörte, und der sie dem Sultan auf Verlangen
erzählte.

Geschichte des zweiten Narren

„Herr,“ sagte der junge Mann, „ich war ein
Kaufmann und, als ich es zu treiben begann, der jüngste meines Gewerbes; denn
ich war erst sechzehn Jahre alt. Als ich eines Tages in meinem Landen
beschäftigt war, trat ein Mädchen herein und übergab mir ein Päckchen, in
welchem ich, als ich es öffnete, mehrere an mich gerichtete, mich lobpreisende
Verse und einen Brief voll feuriger Zärtlichkeit fand. Da ich das Ganze als
eine Verspottung betrachtete, so ergriff ich die Trägerin und schlug sie
heftig. Als sie fort war, machte ich mir jedoch Vorwürfe über mein
unschickliches Benehmen und fürchtete, sie möchte sich bei ihren Verwandten
beklagen und diese sich an mir durch einen plötzlichen überfall rächen. So
sehr ich aber auch das Vorgefallene bereute, so konnte jedoch meine Reue meine
Verschuldung nicht wieder gutmachen.