Project Description

537. Nacht

Jetzt erblickte er am Ende einer prächtigen Einfahrt
denselben Palast, welchen der Gheber so sorgfältig vermieden hatte. Indem er
sich demselben näherte, betrachtete er den wundervollen Bau: Goldene Säulen
trugen eine Vorhalle von azurfarbigem Erz, und über die Bäume, welche zahllose
Vögel mit ihrem lieblichen Gesang erfüllten, sah man das Dach eines
unermesslichen und prächtigen Palastes emporsteigen1).
Asem war anfangs unschlüssig, ob er hineingehen und um Aufnahme bitten sollte,
oder nicht. Bharam hatte ihm gesagt, dass böse Geister in dieser Gegend
herrschten: Aber bedenkend, dass ihm nichts ärgeres begegnen könnte, als was
er schon überstandne hatte, wagte er sich weiter hinein. Er schritt über einen
ganz mit köstlichem Marmor gepflasterten prachtvollen Vorhof. Von da gelangte
er in einen Saal von bewundernswürdigem Reichtum, und sah hier zwei Fräulein,
welche Schach spielten.

Sobald sie ihn erblickten, rief die eine aus: „Ah!
Meine Schwester, das ist wahrscheinlich der unglückliche junge Mann, der vor
einigen Tagen mit dem Zauberer Bharam hier vorüber geritten ist.“

„Er ist es selber,“ sprach Asem, indem er sich
ihr zu Füßen warf, und sie um Zuflucht bat.

„Ihr dürft nicht erst bitten,“ antwortete sie
ihm, „wir würden Euch schon längst bei uns in diesem Palast haben, wenn
ihr nicht bei diesem alten Gheber gewesen wärt. Seit der frühesten Jugend hat
der Vater uns beide in dieses entfernte Schloss versetzt, welches für Geister
erbaut ist. Uns liegt die Besorgung der Zimmer ob, und es wird uns freuen, wenn
ihr uns bei dieser Arbeit helfen wollt: Wir wollen Euch wie unsern Bruder
behandeln.“

Der junge Mann nahm dieses Erbieten mit Vergnügen an. Er
hatte beinahe gar nichts zu tun, und fragte sich jeden Tag, wozu dieses Schloss
wohl eigentlich dienen möchte. Er lebte mit den beiden Schwestern in dem besten
Einverständnis, und seine Freundschaft für sie wuchs mit jedem Tag.

Es geschah indessen, dass man ihn zu gewissen Zeiten sich
in ein Zimmer verbergen ließ, aus welchem er nicht sehen konnte, was im Schloss
vorging.

Eines Tages kam es ihm in den Sinn, dem Gebot der beiden
Schwestern nicht zu gehorchen, und sich in ein Gebüsch zu schleichen, Wie groß
war da sein Erstaunen, als er mitten in dem Wasserbecken des Gartens mehrere
junge Mädchen, schön wie die Huris2),
sich im Bad vergnügen sah, Asem bemerkte darunter besonders eine, von welcher
er auf der Stelle bezaubert wurde. Er wartete, bis sie ihr Bad vollendet hatten.
Danach sah er sie sich mit einem leichten Gewandt bekleiden und in den Lüften
verschwinden.

Der ungetreue Aufseher bediente sich mehrmals eben
derselben List, um die Reize seiner schönen Unbekannten zu betrachten. Aber die
beiden Schwestern, die nichts von seinem Versteck wussten, gewahrten mit Kummer,
dass er unvermerkt hinschwand. Es kam endlich dahin, dass für sein Leben zu
fürchten war: Jetzt, von seinen Freundinnen gedrängt, bekannte er sein
Vergehen, und wie die Liebe ihn dafür bestraft hätte. Sie stellten ihm die
Torheit dieser Leidenschaft vor, wie unsinnig es für einen Sterblichen wäre,
auf eine der Schwestern der Geisterkönigin, zu deren Vergnügungsörtern dieses
Schloss gehörte, sein Auge zu werfen. Zugleich sagten sie ihm, dass die
Untertanen dieser Königin sämtlich weiblichen Geschlechts wären, die nur
zuweilen von männlichen Geistern besucht würden, denen sie aber alle Knaben
gleich nach der Geburt zusendeten3).
Asem aber erklärte, dass er unvermeidlich ins Grab sinken müsste, wenn er
nicht zu dem Besitz der schönen Unbekannten gelangte. Als sie nun sahen, dass
ihr Kranker nicht anders zu heilen wäre, so trösteten ihn die beiden
Schwestern, welche ihn herzlich lieb hatten, und entdeckten ihm, dass die ganze
Kraft dieser jungen Fräulein an ihre Gewänder gebunden wäre, und wenn es ihm
gelänge, das Gewand derjenigen, die er liebte, zu entwenden, er sie dadurch
nötigen würde, in dem Schloss zu bleiben. Der Liebesieche genas augenblicks
durch diese Worte. Er gedachte wohl bei dem nächsten Besuch der Schwestern der
Geisterkönigin den Gürtel zu erhaschen.


1)
Die Kuppeln der Moscheen und anderer öffentlichen Gebäude sind oft mit Ziegeln
von Schmelzwerk bedeckt, wie man es wohl nennen kann, weil die Farbe eingebrannt
und eine Glasur darüber ist.